Syrien: einen Monat lang in einem unterirdischen Spital operieren

Outre de nombreux civils, nous avons en effet soigné des combattants rebelles blessés, mais aussi des soldats de l’armée syrienne qui avaient été faits prisonniers.

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Der belgische Chirurg Dr. Martial Ledecq ist von einem Einsatz zurückgekehrt, bei dem er einen Monat in einer der vier medizinischen Einrichtungen verbrachte, die von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Norden Syriens behelfsmässig errichtet wurden. Seit Ende Juni 2012 haben unsere Teams über 2'500 Patienten versorgt und gegen 550 chirurgische Operationen durchgeführt.

Kannst du uns erklären, was genau deine Arbeit in Syrien war?

Ich habe einen Monat lang als Chirurg in einem behelfsmässigen Spital gearbeitet, das von MSF im Norden Syriens errichtet wurde. Unsere Einrichtung bestand aus einem Operationstrakt mit 10 Spitalbetten für chirurgische Notfälle. Zudem boten wir der Lokalbevölkerung medizinische Sprechstunden an. Wir nahmen in einem Monat etwa 70 Eingriffe im Operationstrakt vor, also etwas mehr als zwei pro Tag. Das ist natürlich ein Tropfen auf den heissen Stein angesichts des heutigen Elends in Syrien. Während einigen Tagen kümmerten wir uns um ein paar leichtere Fälle, und plötzlich waren wir mit einem enormen Ansturm von Verwundeten konfrontiert. Bis auf einige zivile chirurgische Notfälle fanden diese Eingriffe alle bei Patienten statt, die an gewaltverursachten Verletzungen litten: Schuss- oder Splitterverletzungen, offene Brüche, Verletzungen durch Explosionen… Unter diesen Patienten hatte es neben Frauen und Kindern auch Soldaten aus verschiedenen Oppositionsgruppen sowie aus Regierungstruppen.

Welches sind die anderen Betreuungsmöglichkeiten für die Bevölkerung?

Als die türkische Grenze aus Sicherheitsgründen unerreichbar war, funktionierte in der Region nur noch unser chirurgisches Zentrum. Man muss hinzufügen, dass die Bevölkerung dieser ländlichen, medizinisch benachteiligten Zone schon vor dem Konflikt einen weiten Weg auf sich nehmen musste, um in einem städtischen Zentrum medizinische Versorgung zu erhalten. Der Konflikt verunmöglichte diese Reisen. Deshalb führten wir während meines Aufenthalts auch zwei unvermeidliche Kaiserschnitte durch.

Die Arbeit wird vermutlich von zahlreichen Faktoren erschwert?

Wir mussten unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten. Bei meinem Arbeitsort handelte sich um eine geräumige Höhle, die zuvor als Lager für Früchte, Gemüse oder Treibstoff gebraucht wurde. Die Herausforderung war, die nötigen Bedingungen zu schaffen für die Bereitstellung eines medizinischen und chirurgischen Zentrums. Wir mussten Wasser und Strom herbeiführen und optimale sterile Bedingungen herstellen. Ausserdem richteten wir ein aufblasbares, hermetisches Zelt für den Operationstrakt ein. Unter Bedingungen, die von vornherein sehr ungünstig waren, gelang es uns, in einer sehr ländlichen Gegend am Fusse eines Hügels eine Pflegeeinrichtung aufzubauen. Damit meisterten wir eine enorme logistische Herausforderung.

Eure Ressourcen waren natürlich beschränkt …

Die grösste Herausforderung war, sich in einer räumlich begrenzten Einrichtung mit nur wenig Personal in einem sehr kurzen Zeitraum um eine grosse Anzahl Verletzter zu kümmern. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, die Prinzipien eines Katastrophenszenarios anzuwenden, obschon bei MSF ein solches besteht. Die medizinisch-chirurgische Priorisierung unter den Verwundeten war oft schwierig in einer Einrichtung, die nur einen Operationssaal, einen Anästhesisten und einen Chirurgen hat.
Eine andere Einschränkung war die Arbeit mit Material, das auf dem lokalen Markt gekauft wurde und dessen Qualität nicht dem Standard von MSF entsprach. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nämlich keine Importerlaubnis. Im Gegenteil, unser grösster Triumph war die bemerkenswerte Zusammenarbeit mit den syrischen Mitarbeitern, die uns unterstützten, und die gute Stimmung, die in unserem Freiwilligenteam herrschte.

Was ist deiner Meinung nach das Wichtigste bei einer solchen Intervention?

Obschon wir die gleichen Dienste auf der anderen Seite der Grenzlinie, die Syrien heute teilt, anbieten wollten, ist unsere Pflegeeinheit in einer Zone eingerichtet, die von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert wird. Wie kann man es rechtfertigen, dass eine humanitäre Einrichtung, die ihren neutralen und unparteiischen Charakter so stark betont, nur auf einer Konfliktseite aktiv ist? Das war für mich das humanitäre Problem bei dieser Art von Intervention. Aber auch wenn MSF heute nur auf einer Konfliktseite aktiv ist, verletzen wir unsere humanitären Prinzipien nicht. Abgesehen von zahlreichen Zivilisten haben wir verletzte Rebellenkämpfer gepflegt, aber auch Soldaten der syrischen Armee, die gefangen genommen worden waren. Wir mussten unseren Kontaktpersonen andauernd die elementaren Prinzipien der Menschenrechte in Erinnerung rufen.

Fühltest du dich in Gefahr?

Von Zeit zu Zeit ja, wenn ein Helikopter während zwanzig Minuten über unseren Köpfen kreiste, hatte man Zeit, sich zu fragen, was geschehen wird. Eines Tages schlug eine Bombe 60 Meter neben unserem Feldlazarett ein. Zu diesem Zeitpunkt war ich am Operieren. In diesen Augenblicken ist man sehr konzentriert und ist sich des Ausmasses der Gefahr bestimmt weniger bewusst.

Wie hoch ist das Niveau der Gewalt für die Bevölkerung?

Ich weiss nicht, ob man bei der Gewalt eine Abstufung machen kann. Wir haben alle Arten von Verletzungen gesehen: Ein Mann kam mit einer Kugel im Kopf, ein anderer mit einer Kugel im Mund. Ein verletzter Gefangener war in einem unglaublichen Zustand und bat uns, als wir ihn auf unserem Operationstisch hatten, sein Leben zu schonen! Der Krieg ist nie schön.

Und die Kollateralschäden?

Es hat tatsächlich Zivilisten, die direkt oder indirekt Opfer des Konfliktes werden. Direktes Opfer war eine alte Dame, die am Bein von einem Bombensplitter verletzt wurde… Bomben werden aufs Geratewohl abgeworfen; sie fallen manchmal in Gärten, ohne Opfer zu verursachen, aber manchmal auch auf Häuser. Als ich dort war, fand man in einem der getroffenen Häuser drei tote Kinder unter den Trümmern. Draussen waren vier Erwachsene verbrannt und mit Splittern übersät. Die Schreie der Empörung und der Verzweiflung der Mutter der drei Kinder widerhallen immer noch in meinem Kopf. Eine solche Geschichte passierte zweimal. Und dann gibt es indirekte Opfer, wie die beiden kleinen Mädchen, die in einem brennenden Haus verletzt wurden, das von Kerzen erleuchtet wurde, weil es seit Anfang des Konflikts keinen Strom mehr gibt. Das eine Mädchen starb, das andere wird für immer entstellt bleiben. Wenn es keinen Stromausfall gegeben hätte wegen des Konflikts, wäre das nicht geschehen.

Wie kann man in diesem sehr polarisierten Konflikt die Neutralität unserer Einrichtungen respektieren?

Gewalt ist ansteckend aber auch Freundlichkeit, die allen entgegengebracht wird. Ob durch einen formellen Dialog mit dem einen oder anderen Verantwortlichen der bewaffneten Gruppen oder durch die alltägliche Pflege, die mit der gleichen Aufmerksamkeit jedem zuteilwird, ungeachtet seiner politischen oder religiösen Gesinnung: Unsere syrischen Mitarbeiter haben rasch verstanden, dass wir in diesem Konflikt neutral sind. Trotz des stark polarisierten Konflikts war es möglich, aus unserem Pflegeraum eine friedliche Einrichtung zu gestalten, in der Gesten einfacher Solidarität zum Ausdruck kommen, und es war möglich, den Verletzten ihre Würde wiederzugeben, wo auch immer sie herkamen.