MSF fordert sofortige Freilassung von Flüchtlingen und Migranten
Libyen3 Min.
Die Hilfsorganisation MSF fordert die sofortige Freilassung von willkürlich eingesperrten Flüchtlingen und Migranten aus menschenunwürdigen Internierungslagern in Libyen. Teams der Organisation leisten seit mehr als einem Jahr medizinische Hilfe in sieben Internierungslagern in Tripolis, welche offiziell unter Kontrolle des Innenministeriums der international anerkannten Einheitsregierung stehen. Insgesamt haben Mitarbeiter 16 solcher Gefängnisse besucht. Mit der Publikation «Human Suffering – Inside Libya's migrant detention centers» dokumentiert die Organisation in Fotos und Texten die entsetzlichen Haftbedingungen.
«Es ist ein Skandal, dass die deutsche Bundesregierung und die EU-Staaten mit Hilfe der von ihr unterstützten libyschen Küstenwache Schutzsuchende in menschenunwürdige Gefängnisse im Konfliktgebiet in Libyen zurückdrängen», sagt Philipp Frisch, Leiter des Teams für humanitäre Fragen bei Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Deutschland. »Bundeskanzlerin Merkel und Aussenminister Gabriel sind mitverantwortlich für diese Politik der Auslagerung von Verantwortung und verurteilen damit Flüchtende zu Folter und Leid in Libyen. Die deutsche Bundesregierung und die EU müssen jegliche Unterstützung für die libysche Küstenwache einstellen und auf die sofortige Freilassung der willkürlich inhaftierten Menschen aus den entsetzlichen Internierungslagern drängen.»
«Den Gefangenen wird in den Internierungslagern jede Menschenwürde abgesprochen. Sie werden misshandelt und haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe», beschreibt Sibylle Sang, medizinische Leiterin der zuständigen Projektabteilung von MSF. «Unsere Teams sehen täglich, wie viel unnötiges Leid den Menschen zugefügt wird, indem man sie unter solchen Bedingungen einsperrt. Wir können kaum etwas tun, um dieses Leid zu lindern.»
Die medizinischen Teams behandeln jeden Monat mehr als tausend willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migranten. Ihre häufigsten Beschwerden sind Atemwegsinfekte, Durchfallerkrankungen, Harnwegsinfektionen, Krätze und Befall durch Läuse. Viele der Lager sind vollkommen überbelegt. Die Menschen haben oft nicht einmal genug Platz, um sich zum Schlafen hinzulegen. Es gibt wenig Tageslicht und kaum Durchlüftung. Immer wieder haben die Gefangenen nichts zu essen bekommen, so dass selbst Erwachsene an Mangelernährung leiden. Einige dieser Patienten mussten sofort ins Spital gebracht werden.
Im Zustand völliger Gesetzlosigkeit in Libyen gibt es kaum eine Aufsicht über diese Internierungslager, geschweige denn eine Regulierung. Selbst grundlegende gesetzliche und verfahrensrechtliche Massgaben zum Schutz vor Folter und Misshandlung werden nicht beachtet. Es gibt keine formale Registrierung der Eingesperrten und keine Dokumentation von Inhaftierungen und Entlassungen. Sobald Menschen in einem Internierungslager eingesperrt werden, kann niemand herausfinden, was mit ihnen geschieht. Das macht auch eine längerfristige Behandlung von Patienten äusserst schwierig. Von einem Tag auf den nächsten werden Gefangene in andere Internierungslager verlegt oder an unbekannte Orte gebracht. Manche Patienten verschwinden einfach spurlos. Die medizinische Hilfe, die MSF unter diesen Umständen leisten kann, wird dadurch extrem behindert.
Der Zugang zu Internierungslagern ist zudem eingeschränkt, wenn es in Tripolis zu bewaffneten Zusammenstössen zwischen den Milizen kommt. Selbst die Kontrolle über Internierungslager ändert sich manchmal über Nacht, sodass der Zugang der medizinischen Teams zu ihren Patienten mit den neuen Machthabern erst wieder ausgehandelt werden muss. MSF hat wegen der anhaltenden Gewalt und Unsicherheit in Tripolis keinen Zugang zu zahlreichen Internierungslagern.
Um das Leid der Flüchtlinge und Migranten in Libyen zu lindern, reicht der Ansatz der EU, einfach mehr Geld zu zahlen, nicht aus. Dieser verengte Fokus auf eine Verbesserung der Haftbedingungen läuft Gefahr, ein System willkürlicher Inhaftierung ohne jegliche rechtsstaatliche Kontrolle zu legitimieren und zu verstetigen und die Menschen somit auf Dauer Gefahr und Ausbeutung auszusetzen.
MSF leistet seit einem Jahr medizinische Hilfe für willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migranten in Tripolis. Darüber hinaus arbeiten medizinische Teams in vier Internierungslagern in der Region Misrata. Pro Monat behandeln sie dort etwa 100 Patienten und überweisen etwa zwölf Patienten, die eine umfassendere Behandlung benötigen, in Gesundheitseinrichtungen der Region. Zurzeit werden mobile Kliniken für Flüchtlinge und Migranten ausserhalb der Internierungslager in Misrata und südlich der Stadt betrieben.
Seit 2011 unterstützt die Organisation medizinische Einrichtungen in Libyen mit Medikamenten, medizinischem Material und verschiedentlicher Hilfe. In Bengasi behandelt ein Team von MSF Kinder und Frauen, insbesondere Schwangere, und leistet psychologische Hilfe.