Durchfallerkrankungen: Jeden Tag sterben daran über tausend Kinder
An den Folgen akuter Durchfallerkrankungen sterben weltweit täglich 1’300 Kinder. Die meisten leben in Subsahara-Afrika und Südasien.
Obwohl der Verlauf in den meisten Fällen harmlos ist, bleibt Durchfall in Entwicklungsländern eine Todesursache. Jährlich fallen 484 000 Kinder dieser Krankheit zum Opfer, die so leicht zu verhüten und zu behandeln wäre (UNICEF). Zwar ist die Kindersterblichkeit in den letzten zwanzig Jahren weltweit generell gesunken. Nach der Lungenentzündung ist die akute Gastroenteritis jedoch die zweithäufigste Todesursache bei Kleinkindern im Alter von fünf Wochen bis fünf Jahren. Durchfallerkrankungen töten mehr Menschen als Aids, Malaria und Masern zusammen.
Symptome:
- Durchfall
- Übelkeit, Erbrechen
- Fieber
- Bauchschmerzen
- Lethargie
- Dehydratation
- Septischer Schock
Ursache von Durchfallerkrankungen
- Viren (Rotavirus)
- Bakterien (Shigella, Salmonellen, Escherichia coli)
- Parasiten (Amöbiasis)
2015 behandelten unsere medizinischen Teams insgesamt rund 500'000 Kinder, von denen acht bis zwölf Prozent an Durchfall erkrankt waren. Seit 2006 nimmt MSF dieses Problem aktiv in Angriff. «Die Durchfallerkrankungen wurden von den Impfstoffherstellern, Geldgebern und auch in internationalen Projekten völlig ignoriert», erinnert sich Dr. Rebecca Grais, Forschungsleiterin von Epicentre, der MSF-Abteilung für epidemiologische Forschung.
In einer ersten Phase forschte das Epicentre intensiv nach der Hauptursache der akuten Durchfallerkrankungen. Dabei wurde festgestellt, dass das hoch ansteckende Rotavirus für über 40 Prozent der Todesfälle verantwortlich ist. «Die durch das Rotavirus verursachte Gastroenteritis ist insbesondere bei Kleinkindern mit starkem Wasserverlust verbunden, der sehr schnell zu einem lebensbedrohlichen Austrocknen des Körpers führen kann», erläutert Bottineau. Obwohl diese Infektionen weit verbreitet und einfach zu behandeln sind, starben in Entwicklungsländern allein 2015 450'000 Kinder an rotavirusbedingten Durchfällen.
Diarrhoe ist einer der Hauptgründe für Einweisungen in unsere Abteilungen für Pädiatrie und Ernährungshilfe.
Bei humanitären Krisen gehört die Eindämmung von Durchfallerkrankungen zu den zentralen Massnahmen. Die engen Platzverhältnisse in Flüchtlingslagern führen häufig dazu, dass die sanitäre Versorgung unzureichend ist. Die Wasserquellen sind oft verschmutzt und gute Hygienepraktiken nur eingeschränkt möglich. Diese Faktoren begünstigen die Verbreitung von Krankheiten, die über das Wasser und auf fäkal-oralem Weg übertragen werden. Um die Ausbreitung von Durchfallerkrankungen zu verhindern, werden in erster Linie Massnahmen zur Versorgung mit Trinkwasser und zur Einrichtung von angemessenen Sanitäranlagen getroffen.
ORS und Zink – eine Therapie, die sich bewährt hat
Im Rahmen einer weltweiten Initiative, die in den 1970er-Jahren lanciert wurde, konnte die Kinder-sterblichkeit über die letzten zwanzig Jahre erheblich gesenkt werden. Zu verdanken ist dies insbe-sondere der Behandlung mit der sogenannten oralen Rehydratationslösung (ORS), in deren Rahmen zudem ein Zinkzusatz verabreicht wird. Kinder sollten die Lösung ab dem ersten Anzeichen von Durchfall erhalten. Sofern keine ORS verfügbar ist, kann die Mutter ihrem Kind andere Rehydratationslösungen (aus gekochtem und/oder gefiltertem Wasser) auf Basis von Getreidegetränken (Reis, Maisstärke, Kartoffeln) geben. Auch die Muttermilch ist eine ausgezeichnete Ersatzflüssigkeit. Zusätzlich zu anderen Rehydratationslösungen sollten an Durchfall leidende Kinder somit idealerweise gestillt werden. Der Zusatz von Zink verkürzt die Krankheitsdauer um 25 Prozent. Die Gesundheitsministerien, welche die Aufgaben der Hilfsorganisationen übernehmen sollten, setzen diese Behandlungsform aus Kostengründen nur unzureichend ein, obschon sie eigentlich preiswert ist.
Vorbeugen ist besser als heilen
Die entscheidende Rolle, welche Prävention bei der Senkung der Kindersterblichkeit infolge von Diarrhoe spielt, ist hinlänglich bekannt. In den letzten Jahren wurden dabei erhebliche Fortschritte erzielt, was insbesondere den Empfehlungen von WHO und UNICEF (UNO-Kinderhilfswerk) zu verdanken ist. In Ländern wie Bangladesch oder Sambia sind umfangreiche Sensibilisierungskampagnen angelaufen, um der offenen Defäkation ein Ende zu setzen. Diese in verschiedenen Ländern weit verbreitete Praxis fördert die Ausbreitung von Durchfallerkrankungen. Als eine der wirksamsten Massnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene gilt das Händewaschen mit Seife. Dadurch kann die Übertragung von Durchfallerkrankungen um über 40 Prozent gemindert werden. Die qualitative Verbesserung der Wasserquellen in den Haushalten (Chlorierung, Filterung, Desinfizierung, Abkochen) spielt ebenfalls eine Schlüsselrolle.
Eine weitere Massnahme zur Senkung der Kindersterblichkeit besteht darin, das Immunsystem von Kindern durch eine hochwertigere Ernährung zu stärken. Durchfall ist nicht nur eine Ursache, sondern auch eine Folge der Mangelernährung bei Kindern unter fünf Jahren und kann zu einem Wachstumsrückstand führen.
Die Unterstützung auf lokaler Ebene ist von wesentlicher Bedeutung, um den Gesundheitszustand der Kleinsten zu verbessern. Die Mütter müssen darüber informiert werden, dass das ausschliessliche Stillen bis zum Alter von sechs Monaten viele Vorteile hat.
Die Muttermilch enthält nämlich Nährstoffe, Antioxidantien, Hormone und Antikörper, die das Kind vor Infektionen und Erkrankungen schützen. Die Zuführung von Mikronährstoffen wie Vitamin A und Zink sind dem Immunsystem von Kleinkindern ebenfalls zuträglich. Diese Nährstoffe sind in der therapeutischen Milch und gebrauchsfertigen Nahrung enthalten, die wir im Rahmen unserer Ernährungsprogramme verteilen, doch Kinder mit akutem Durchfall erhalten eine zusätzliche Dosis.
MSF ist sowohl bei der Prävention als auch bei der Behandlung von Durchfallkrankheiten aktiv. «Dehydradation und die damit verbundenen Komplikationen sind das Hauptproblem, mit dem wir in Niger und im Tschad, aber auch in Kamerun, im Südsudan und in Tansania konfrontiert sind», erklärt Bottineau weiter. Dementsprechend liegt der Fokus der Behandlung auf der Flüssigkeitszufuhr. In Niger beispielsweise werden Kinder, die unter Durchfall leiden, in ambulante Ernährungszentren aufgenommen. Im Fall von leichtem oder mittelschwerem Durchfall verabreicht das Personal neben einem Zinkzusatz eine orale Rehydratationslösung (ORS). Wenn sich alles gut entwickelt, kann das Kind nach ein paar Stunden nach Hause gehen. ). Ist die Dehydratation zu weit fortgeschritten oder verschlechtert sich der Zustand des Kindes, erfolgt eine Überweisung in ein Spital. Dort erhält das Kind schnellstmöglich eine Infusion, um den Verlust von Wasser und Mineralsalzen auszugleichen. Die Ärzte verabreichen zudem Antibiotika, da aufgrund der Entzündung des Verdauungskanals Keime der Darmflora in das Blut gelangen können und die Möglichkeit eines septischen Schocks besteht.
Ein revolutionärer Impfstoff
Die Impfung ist heute weiterhin das wichtigste präventive Mittel im Kampf gegen akute Durchfallerkrankungen. Zwei Impfstoffe gegen das Rotavirus, die von der WHO empfohlen werden, sind derzeit auf dem Markt erhältlich. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang jedoch eine lückenlose Kühlkette. In einigen Regionen Afrikas ist dies mit grossen Herausforderungen verbunden und allein der Preis der Impfstoffe stellt eine grosse Hürde dar. «Es gibt zudem verschiedene Typen von Rotaviren und wir waren nicht sicher, ob diese Impfstoffe auch für afrikanische Länder geeignet sind», erklärt Rebecca Grais.
2015 startete Epicentre, gemeinsam mit dem Serum Institute of India Pvt Ltd, dem Cincinnati Children's Hospital sowie weiteren Partnern, eine Wirksamkeitsstudie in Maradi, im Süden von Niger. In diesem Rahmen wurde ein Impfstoff getestet, der speziell für die Länder entwickelt worden war, die am stärksten vom Rotavirus betroffen sind. Die Impfung, die vom Serum Institute of India auf der Grundlage von Virusstämmen aus Subsahara-Afrika entwickelt wurde, ist hitzebeständig und zudem kostengünstiger als die derzeit im Handel erhältlichen Impfstoffe. Der neue Impfstoff wurde 4'400 Kindern im Alter von sechs, zehn und 14 Wochen mit Zustimmung der Eltern verabreicht. Die Kinder wurden über ein Jahr lang wöchentlich medizinisch untersucht; insgesamt waren 300 Personen an der Durchführung der Studie beteiligt.
Die im New England Journal of Medicine vom 23. März 2017 veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass sich der unter der Bezeichnung BRV-PV bekannter Impfstoff als sicher und wirksam gegen Rotaviren erwiesen hat. Der Impfstoff wurde ausserdem gezielt an die Virentypen in Subsahara-Afrika angepasst.
«Dieser Erfolg zeigt, dass es möglich ist, in einer anscheinend ausweglosen Situation eine Lösung zu finden. Humanitäre Hilfe kann also auch in Form von Forschungsarbeit geleistet werden!» freut sich Grais.
Der Impfstoff wird nun von der WHO präqualifiziert. Nun gilt es, bei den Gesundheitsministerien Überzeugungsarbeit zu leisten, damit diese den Impfstoff in ihr Impfprogramm aufnehmen. «Auch lokal ist weiterhin Aufklärungsarbeit erforderlich», erklärt Bottineau abschliessend. «Erst wenn alle Mütter die Schwere einer Durchfallerkrankung ihres Kindes erkennen und in allen Gesundheitszentren Medikamente zur Prävention von Dehydratation verfügbar sind, kann verhindert werden, dass Durchfallerkrankungen weiterhin Todesfälle fordern.»