Cholera in Syrien: Herausforderung in einer bereits schwierigen humanitären Situation
© Mourad Azad/MSF
Syrien5 Min.
Der seit 11 Jahren anhaltende Konflikt hat die Gesundheitseinrichtungen des Landes weitgehend zerstört. Im Norden haben die Menschen nun vermehrt mit bakteriellen Krankheiten zu kämpfen. Darunter zum ersten Mal seit über zehn Jahren auch mit Cholera. Vor Ort haben unsere Teams mit einigen unserer Patient:innen gesprochen.
Fatina, genesende Mutter
Es ist 9 Uhr morgens in der vom Krieg verwüsteten, aber immer noch belebten Stadt Rakka im Nordosten Syriens. Fatina aus Aleppo liegt im Bett in einem von Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) unterstützten Cholera-Behandlungszentrum. Sie fühlt sich noch schwach, deshalb hilft ihr eine Pflegefachfrau dabei, ihre orale Rehydratationslösung einzunehmen. Die Patientin erholt sich von Cholera, einer Krankheit, die seit über zehn Jahren nicht mehr in Syrien aufgetreten war. Fatina besuchte ihren Sohn, der vor zehn Jahren vor den Kämpfen im Nordwesten des Landes nach Rakka geflohen war. Das erhoffte glückliche Wiedersehen war nur von kurzer Dauer, als sie kurz nach ihrer Ankunft krank wurde.
Ich bin nach Rakka gekommen, um meinen Sohn zu besuchen, und dann bin ich hier gelandet.
Nachdem sie den Konflikt, der die Region seit 2011 erschüttert, überlebt hat, sah sie sich einer neuen Bedrohung gegenüber. «Zuerst kam ich ins nationale Spital von Rakka, doch es ging mir immer schlechter. Ich litt unter starken Kopfschmerzen, plötzlichem Durchfall und Erbrechen, als ich hier ins Behandlungszentrum kam. Ich wusste nicht, warum ich so krank war, aber ich hatte das Gefühl, ich würde sterben.»
Nordost-Syrien: 3000 Verdachtsfälle seit September behandelt
Im Nordosten von Syrien arbeiten wir mit den Gesundheitsbehörden vor Ort zusammen, um die Epidemie einzudämmen. So unterstützen unsere Teams vor allem das Cholera-Behandlungszentrum in Rakka, das vorher zur Behandlung von Covid-19 diente.
Seit die Cholera-Epidemie im September offiziell bestätigt wurde, haben wir im Nordosten des Landes mehr als 3000 Verdachtsfälle behandelt. Die Gefahr, dass sich die Epidemie weiter ausbreitet, ist gross, denn der Wasserstand des Euphrat ist aufgrund der Dürre gesunken, und die Menschen greifen auf Wasser aus verunreinigten Quellen wie dem Fluss oder offenen Kanälen zurück. Hinzu kommt, dass die lokale Gesundheitsinfrastruktur in den 11 Jahren des Konflikts weitgehend zerstört wurde.
Alaa, Patientin mit schweren Symptomen
Gouvernement Idlib im Nordwesten von Syrien: Alaa Hassan, 30 Jahre alt, kam erschöpft und krank in das mit 24 Betten ausgestattete Cholera-Behandlungszentrum, das von unseren Teams unterstützt wird. Es handelt sich um die einzige Einrichtung dieser Art in der Region. «Zuerst dachte ich, dass ich einfach einen normalen Darminfekt hätte. Innerhalb von wenigen Stunden wurde das Erbrechen und der Durchfall aber immer schlimmer, ich wurde fast ohnmächtig und mein Blutdruck sackte plötzlich ab», erinnert sich Alaa. Ihre Schwiegermutter hatte die gleichen Symptome, sie wussten aber beide nicht, wo sie sich angesteckt hatten.
Ich hatte von der Ausbreitung von Cholera in Syrien gehört. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, mich anzustecken und so starke Beschwerden zu haben.
Zwei Tage nach ihrer Einweisung und kurz nach der Behandlung waren alle Symptome verschwunden.
Die Cholera hat sich mittlerweile im ganzen Land ausgebreitet
Unsere Teams unterstützen auch ein Cholera-Behandlungszentrum im Norden von Idlib und zwei weitere im Norden von Aleppo in Afrin und Al-Bab in Zusammenarbeit mit der Organisation Al-Ameen. Ausserdem unterstützen und leiten wir vier Anlaufstellen zur Verabreichung von oralen Hydratationslösungen für Betroffene mit Symptomen, die aber nicht ins Spital müssen. In diesen Anlaufstellen wurden rund 300 Patient:innen behandelt, und 220 weitere Patient:innen auf den Intensivstationen im Norden von Idlib, von denen rund 20 Prozent schwere Symptome aufwiesen. Die meisten kritischen Fälle sind darauf zurückzuführen, dass die Kranken erst spät Hilfe aufsuchten.
Zu den ersten Cholera-Erkrankungen war es aufgrund des verseuchten Wassers des Euphrat und des akuten Wassermangels im Norden Syriens gekommen. Die ersten Fälle traten in Deir ez-Zur auf. Anschliessend steckten sich Menschen entlang des Euphrat an, dann in Rakka und Aleppo im Nordwesten, und schliesslich breitete sich die Krankheit rasch im ganzen Land aus.
Dalal und Saleh, Mutter und Sohn auf der Intensivstation
Dalal und ihr kleiner Sohn Saleh aus der einige Autostunden entfernten ländlichen Umgebung von Rakka wurden erst am Vortag ins Cholera-Behandlungszentrum von Rakka geschickt. Dalal hatte das Zentrum mit ihrem schwer kranken Baby mit den öffentlichen Transportmitteln und einem Minibus erreicht. Ihr Kleiner verlor viel Flüssigkeit und sein Zustand verschlechterte sich rapide. Die verzweifelte Mutter hatte das Gefühl, dass die Reise kein Ende nahm. Ihre anderen acht Kinder musste sie beim Vater lassen.
«Vor einer Woche hatte er auf einmal starken Durchfall. Ich dachte, dass es vielleicht an der Schafsmilch lag, aber es ging ihm zunehmend schlechter. Ich brachte ihn hierhin und Gott sei Dank geht es ihm nun besser.»
Die Menschen vor Ort einbeziehen
Ahmad Ali gehört zum Team der Gesundheitspromotor:innen im Cholera-Behandlungszentrum von Rakka. Diese schauen im Norden Syriens bei den Patient:innen zu Hause vorbei und treffen auch ihre Familien, um auf ihre Sorgen und Fragen einzugehen. Sie informieren zudem darüber, wie man die ersten Symptome von Cholera erkennt und wie man sich verhalten sollte, wenn man vermutet, dass sich ein Familienmitglied mit der Krankheit angesteckt hat.
«Manche Familien aus den ländlichen Gegenden um Rakka haben mir erzählt, dass sie das Wasser aus den offenen Kanälen oder des Flusses als Trinkwasser und für den täglichen Gebrauch nutzen. Dabei ist das Wasser verseucht und gesundheitsschädlich. Wenn die Kläranlage nicht funktioniert, suchen die Menschen natürlich nach anderen Quellen, wodurch sie riskieren, sich eine Krankheit einzufangen.»
Die Sicherheitslage in Nordsyrien ist sehr instabil, nun steht ein weiterer harter Winter bevor. Die Einwohner:innen setzen alles daran, zur Eindämmung der Epidemie beizutragen, damit die bereits prekäre humanitäre Lage sich nicht noch weiter zuspitzt.
© Mourad Azad/MSF