Erdbeben im Nordwesten Syriens: «Hier herrscht Chaos»
© Hadia Mansour
Syrien2 Min.
Im Nordwesten Syriens läuft die Nothilfe von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) zugunsten der von den Erdbeben vom 6. Februar schwer getroffenen Bevölkerung derzeit auf Hochtouren. Unsere Teams, die schon vor der Katastrophe vor Ort waren, verteilen Lebensmittel, Trinkwasser, Planen und Decken und betreiben mobile Kliniken für all jene, die nicht im Spital aufgenommen wurden. In der Region, in der seit zwölf Jahren Krieg herrscht und die unter den Folgen von Covid-19 und einer Cholera-Epidemie leidet, ist der Hilfsbedarf enorm. Die Überlebenden stehen unter Schock, wie Gespräche mit ihnen belegen.
Erfahrungsbericht von Betroffenen
«Hier herrscht Chaos», bringt Abdulbari die Lage am Telefon mit Ärzte ohne Grenzen auf den Punkt. Der 19-jährige Syrer wird seit 8 Jahren in unserem Spital in Atmeh behandelt, nachdem er 2015 bei einem Raketenangriff schwere Verbrennungen erlitten hatte. Er schlief bei seiner Tante, etwa dreissig Kilometer südwestlich von Idlib, als er die Erdstösse spürte. Er wurde nicht verletzt und seiner Familie geht es gut. Doch sieht er rund herum «Menschen, die verzweifelt nach Decken, Matratzen oder einem Unterschlupf suchen, um sich vor der Kälte zu schützen. Manche Menschen, deren Häuser zerstört wurden, wissen nicht wohin und brauchen ein Zelt, wofür sie aber kein Geld haben.»
Abdulbari erzählt auch, dass es an Treibstoff mangelt und die Menschen zum Heizen Holz suchen. «Es gibt kein Benzin mehr. Diesel findet man noch, aber der ist so teuer, dass alle Holz verwenden, und das ist ein anderes Problem, weil die Leute alle Bäume fällen. Letztens sah ich Leute, die einen Olivenbaum fällten, um das Holz zu verheizen. Man muss schon gar nichts mehr haben, bis man so einen alten Baum fällt. Es ist eine Katastrophe.»
«Ich bin nicht in der Lage, zu helfen.»
Im nördlich von Idlib gelegenen Termanin sprach ein 68-jähriger Mann, der vor Jahren aufgrund des Kriegs aus Maarat Al-Numan hierher geflüchtet war, bei einer Verteilung unserer Notfallsets mit einer unserer Sozialarbeiterinnen: «Meine zwei Söhne sind nach dem Erdbeben mit ihren Familien aus Jindires geflohen. Sie kamen zu mir. Meine Schwiegertochter war schwanger, sie hat das Baby sofort nach ihrer Ankunft bei mir bekommen. Ich habe Krebs und war vorher in der Türkei in Behandlung. In meinem Haus gibt es zwei Zimmer, jetzt leben drei Familien hier. Wir haben nicht genügend Decken, nichts zum Heizen und überhaupt fehlt es an allem, um den Bedarf von drei Familien zu decken. Ich bin nicht in der Lage, meiner Familie zu helfen (...). Die Leute hier, die die Betroffenen der Erdbeben bei sich aufnehmen, haben nicht genügend Mittel, auch sie brauchen Hilfe.»
«Wenigstens sind die Kinder am Leben.»
In Atarib im Gouvernement Aleppo nahmen unsere Teams gerade eine vorläufige Lagebeurteilung vor, als sie Zeugen einer Rettungsaktion wurden. Mohammed, einer unserer Fahrer, erzählt: «Eine Frau wurde tot geborgen, aber ihre drei Kinder wurden lebend aus den Trümmern geholt. Eins nach dem anderen. Wie durch ein Wunder. Die Rettungsteams fanden zunächst eines der Kinder und übergaben es sofort der Ambulanz. Als diese schon abfahren wollte, kam ein weiteres zum Vorschein und die Ambulanz wurde aufgehalten. Dasselbe geschah mit dem dritten Kind. Die Menschen haben vor Freude in die Hände geklatscht, sie sagten, sie versuchten seit zwei Tagen, die Mutter und ihre Kinder zu bergen, jetzt sind wenigstens die Kinder am Leben.»
© Hadia Mansour