Reynosa, Mexiko: MSF kümmert sich um Migrantinnen, Migranten und Abgeschobene aus den USA

20. November 2018

Mexiko3 Min.

Seit 2017 betreut MSF in Reynosa gewaltbetroffene Migrantinnen und Migranten. In zwei bestehenden Unterkünften und im Tamaulipas Institute for Migrants (ITM) bietet MSF nun medizinische und psychologische Betreuung.

Wenn man die Casa Migrante Guadalupe in Reynosa, eine Notunterkunft für Migranten, betritt, fallen als erstes die Traurigkeit und die Angst auf den Gesichtern der Anwesenden auf. Viele von ihnen wurden kürzlich aus den USA abgeschoben oder an der US-Grenze zurückgewiesen. 

Die Geschichten der Menschen in der Casa Migrante und im ITM sind sehr unterschiedlich. Die einen haben ihr Zuhause aufgrund der allgegenwärtigen Gewalt verlassen. Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft wurde jedoch zerstört, da sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen konnten. Andere hatten jahrelang in den USA gelebt, bevor sie abgeschoben wurden. Sie wurden gezwungen, ihr ganzes Leben hinter sich zu lassen. Diejenigen unter ihnen, die sich in der glücklichen Situation befinden, in Mexiko noch Verwandte zu haben, versuchen, den Kontakt mit ihren Familien, die sie teilweise jahrelang nicht gesehen haben, wiederherzustellen.

Die Geschichten sind unterschiedlich, gemeinsam ist ihnen die erlebte Gewalt

Pablo ist einer der Abgeschobenen.* Er hat mehr als 20 Jahre in den USA gelebt, bevor er abgeschoben wurde. Nun muss er in Mexiko, das er vor Jahrzehnten verlassen hat, aus dem Nichts ein neues Leben aufbauen.

«Ich habe mehr als 20 Jahre in Alabama gelebt. Aufgrund einer falschen Anschuldigung, die nie bewiesen werden konnte, wurde ich nach Mexiko abgeschoben. Meine Familie blieb in den USA. Ich versuche jetzt, nach Veracruz zurückzukehren, wo meine Geschwister leben.» 

Die Suche nach einem besseren Leben ist für die Migrantinnen und Migranten schwierig und gefährlich. Eine aktuelle MSF-Studie zeigt, dass 98 Prozent der Migrantinnen und Migranten in der Notunterkunft in Reynosa Gewalt erlebt haben. Viele wurden auf der Reise oder vor dem Verlassen ihres Heimatlands beraubt, entführt oder erpresst.

Ruth*, Mutter von vier Kindern, verliess Honduras vor fünf Monaten, um der alltäglichen Gewalt zu entkommen. Ihr Mann wurde entführt und später wieder freigelassen. Die Familie floh, weil sie um ihr Leben fürchtete. Die Reise war äusserst schwierig: Sie mussten auf der Strasse schlafen und waren dort weiterer Gewalt ausgesetzt. MSF konnte die Familie nun medizinisch und psychologisch betreuen.

Indem wir uns für die Migration entschieden, haben wir alles riskiert. Du kannst gewinnen oder alles verlieren. Es ist hart, sich auf eine solche Reise zu machen. Die Gewalt und die fehlenden Perspektiven, die unser Leben in Honduras nahezu unmöglich machten, haben uns dazu gezwungen.

Ruth, Mutter von vier Kindern, Migrantin aus Honduras

Psychische Erkrankungen sind sehr häufig

Obwohl die Geschichten der Menschen, die MSF in Reynosa behandelt, sehr unterschiedlich sind, leiden alle unter der Unsicherheit und der Angst vor der Zukunft. 

«Aufgrund ihrer Erlebnisse leiden die Menschen unter Angst, Verspannungen und Schlafproblemen. Sie sind von Sorgen geplagt, weil sie hier keine Angehörigen haben oder der Kontakt mit der Familie verloren ging, als sie Mexiko in ihrer Jugend verliessen, oder aber weil sie ihre Familie in den USA zurücklassen mussten», erklärt Nora Valdivia, Psychologin des MSF-Projekts in Reynosa.

Die unsichere Zukunft wiegt schwer. Depressionen und Angsterkrankungen sind sehr häufig, da die Menschen unter der Trennung und dem Verlust ihrer ökonomischen Lebensgrundlage leiden.

Nora Valdivia, Psychologin des MSF-Projekts in Reynosa

Alle Hoffnungen der abgeschobenen Personen zerschlagen sich bei ihrer Ankunft in Mexiko. Viele kennen weder die Gesetze noch die Währung oder die lokalen Gepflogenheiten und manche nicht einmal die Sprache. In vielen Fällen haben sie ein langwieriges Abschiebeverfahren hinter sich.

«Viele Patientinnen und Patienten, die über Monate, teilweise bis zu einem Jahr, in Internierungslagern festgehalten wurden, haben Angstzustände. Während der Haft haben sie psychische Störungen entwickelt. Frauen, allen voran jene, die versuchen, über die Grenze zu gelangen, sind mit sexueller Gewalt konfrontiert», erklärt Nora Valdivia. 

MSF kümmert sich um die Betreuung dieser Menschen, unter anderem mit kostenloser medizinischer Versorgung und psychologischen Sprechstunden. Auch im Bereich der Sozialarbeit bietet MSF Beratungen an, insbesondere was die Beschaffung amtlicher Dokumente betrifft, welche die Betroffenen nicht mehr haben oder gar nie besassen. 

* Die Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.