Sudan: 5 Fakten über den jüngsten Gewaltausbruch und den humanitären Bedarf in El Geneina, West-Darfur

Fatima und ihre vier Kinder in einer unserer mobilen Kliniken. El Geneina, Sudan, Juni 2022.

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In der letzten Aprilwoche berichteten die Medien über die Plünderung des Ausbildungsspitals von El Geneina, das von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MFS) seit 2021 unterstützt wird. Berichten zufolge kam es in El Geneina, der Hauptstadt West-Darfurs, zu weitläufigen Plünderungen, Zerstörungen und Brandstiftung, denen auch Vertriebenensiedlungen zum Opfer fielen.

Fleur Pialoux, unsere ehemalige Projektkoordinatorin in El Geneina, fasst die Lage im Sudan in fünf Fakten zusammen. Sie berichtet über den Zustand des Spitals und den steigenden humanitären Bedarf und erklärt, was es für Ärzte ohne Grenzen in Zeiten wie diesen bedeutet, sich für die Unterstützung des Spitals und der betroffenen Bevölkerung einzusetzen.

1. Aussbildungsspital in El Geneina: Abbruch der Aufstockung und Schliessung

Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Ausbildungsspital von El Geneina seit einiger Zeit und hatte geplant, die Arbeit vor Ort um medizinische Leistungen in den Bereichen Neonatologie und Geburtshilfe zu erweitern. Doch seit dem Ausbruch des jüngsten Konflikts mussten Patient:innen und Personal das Spital verlassen. Die geplante Aufstockung wurde aufgrund der Sicherheitslage vorläufig eingestellt.

Seit 2021 unterstützt unsere Teams das Gesundheitsministerium in der Pädiatrie des Ausbildungsspitals von El Geneina in West-Darfur, Sudan, insbesondere in den Bereichen Notaufnahme, stationäre Pflege und Ernährungstherapie. Zu unserer Arbeit gehörte auch die Verbesserung der Notfallbereitschaft. 2022 führten unsere Teams über 82 000 ambulante Sprechstunden durch, u. a. wegen Malaria, akutem wässrigem Durchfall und Atemwegsinfektionen. Über die Jahre kamen Patient:innen nicht nur aus El Geneina und den nächstgelegenen Vertriebenencamps, sondern aus ganz West-Darfur zu uns in Behandlung.

Seit dem 20. April 2023 ist das Spital jedoch aufgrund der Gewalt geschlossen, wodurch unsere Organisation die Unterstützung der Pädiatrie und die geplanten Aktivitäten in den Abteilungen Neonatologie und Geburtshilfe einstellen musste.

2. Plünderung und Gewalt

Die Plünderung des Spitals und die anhaltende Gewalt haben die medizinische Versorgung in West-Darfur erheblich beeinträchtigt.

Bedauerlicherweise wird der Schutz von Spitälern nicht gewährleistet. So wurden wir im Spital Zeugen von Gewalt, Zerstörung und Beschädigungen. Daraufhin mussten die Patient:innen und das Personal das Spital verlassen – und dies trotz des steigenden medizinischen Bedarfs.

In der Stadt El Geneina kam es wie auch in anderen Gebieten im Sudan und in Darfur seit Beginn des jüngsten Konflikts zu weitläufigen Plünderungen, die auf Privathäuser, Geschäfte, Apotheken, mehrere internationale NGOs, Einrichtungen des Gesundheitsministeriums und den Markt abzielten.

Am 26. April 2023 wurde das Ausbildungsspital von El Geneina, einschliesslich der Spitalapotheke, der Röntgenabteilung und der Blutbank, geplündert. Dies macht es für das medizinische Personal umso schwieriger, die Arbeit auch dann wieder aufzunehmen, wenn sich die Sicherheitslage wieder verbessert. Auch die von unseren Teams unterstützte Pädiatrie war von den Plünderungen betroffen.

3. Schwierigkeiten schon vor dem Ausbruch des Konflikts

Ärzte ohne Grenzen war schon vor Ausbruch dieses Konflikts mit enormen Schwierigkeiten bei der Erbringung von medizinischer Hilfe für die Menschen in West-Darfur konfrontiert.

Bereits vor Ausbruch des laufenden Konflikts standen die Menschen in West-Darfur, darunter über 100 000 Vertriebene in El Geneina und eine halbe Million in West-Darfur, vor beträchtlichen Herausforderungen: Der humanitäre Bedarf war akut, es gab kein funktionstüchtiges Überweisungssystem und medizinische Leistungen waren extrem teuer. Patient:innen mussten mitunter weite Strecken zurücklegen, um das Ausbildungsspital von El Geneina zu erreichen, wodurch sie häufig zu spät kamen und ihre Heilungschancen vermindert wurden.

Es kam häufig zu Streiks und an den meisten Gesundheitseinrichtungen herrschte Fachkräfte-, Medikamente- und Gerätemangel. Das begrenzte Vorhandensein qualitativ hochwertiger Einrichtungen zur Behandlung von Mangelernährung, Verzögerungen und Kürzungen der Geld- und Nahrungsmittelhilfe bei einer sich verschlechternden Ernährungssicherheit und verbreiteter Mangelernährung bedingten, dass Mangelernährung nicht gezielt behandelt wurde. 2022 litten 31,1 Prozent der im Ausbildungsspital von El Geneina untersuchten Kinder unter Mangelernährung.

Anfang 2023 kam es zu einem Masernausbruch, wobei ausserhalb der von uns unterstützten Pädiatrie im Ausbildungsspital von El Geneina keine Isolierungskapazitäten verfügbar waren. Die Wirtschaftslage blieb alarmierend, während die humanitäre Hilfe weiterhin unzureichend war.

Im April 2022 verloren mehr als 200 Menschen in einem brutalen Angriff auf die Stadt Kreinik das Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt und Zehntausende vertrieben. Das Spital der Stadt, das damals erst seit Kurzem von unseren Teams unterstützt worden war, wurde angegriffen, wobei zwei Mitarbeitenden des Gesundheitsministeriums und acht Patient:innen getötet wurden. Auch damals wurde die Spitalapotheke geplündert. Erst im Dezember 2022 konnten unsere Teams wieder nach Kreinik zurückkehren und die Arbeit im Spital wieder aufnehmen. Derweil betrieben wir mobile Kliniken, um medizinische Hilfe dorthin zu bringen, wo die Menschen von dieser abgeschnitten waren.

Seit Beginn des aktuellen Konflikts hält die Angst vor Gewalt in- und ausserhalb medizinischer Einrichtungen Patient:innen davon ab, medizinische Hilfe zu suchen. Auch fürchten die Menschen Angriffe aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

Während der ersten Woche des Konflikts hielten unsere medizinischen Mitarbeitenden grundlegenden Behandlungen für Patient:innen in kritischem Zustand trotz der Gefahren aufrecht. Nachdem sich die Lage in El Geneina jedoch erheblich verschlechterte, flohen Ärzt:innen aus Angst vor Plünderungen oder Angriffen.

4. Eingeschränkter Zugang zu medizinischer Hilfe und Medikamenten

Weil es in El Geneina an betriebsfähigen Gesundheitseinrichtungen mangelt, haben Patient:innen Mühe, dringende medizinische Hilfe, darunter auch medizinische Bedarfsartikel und Medikamente, zu erhalten.

Ein herzzerreissendes Beispiel ist der Tod eines jungen Patienten, für den es schon vor Beginn der Plünderungen keine Bluttransfusion gab. Unsere Mitarbeitenden berichteten auch, dass Freund:innen und Familienangehörige getötet oder verletzt wurden und keine Hilfe erhalten konnten. An manchen Tagen war keine der Gesundheitseinrichtungen von El Geneina in Betrieb. Zwar hatten gelegentlich Kliniken in verschiedenen Vierteln der Stadt geöffnet, doch waren die Hilfskräfte oder Ärzt:innen dort mitunter nicht in der Lage, mehr als eine einfache Wundversorgung anzubieten. In diesem ohnehin komplexen Umfeld ist die Beschaffung von medizinischen Geräten und Medikamenten äusserst schwierig.
In anderen Teilen West-Darfurs, darunter bei den Nomadenvölkern von Galala, Mogshasha, Wadi Rati und Gelchek, war es uns nicht möglich, mobile Teams einzusetzen. Den Dienst im Spital von Kreinik konnten wir aufrechterhalten, doch sinkt die Zahl der Patient:innen, die von ausserhalb zu uns kommen.

In anderen Teilen West-Darfurs, darunter bei den Nomadenvölkern von Galala, Mogshasha, Wadi Rati und Gelchek, war es uns nicht möglich, mobile Teams einzusetzen. Den Dienst im Spital von Kreinik konnten wir aufrechterhalten, doch sinkt die Zahl der Patient:innen, die von ausserhalb zu uns kommen.

5. Mitarbeitende im Konfliktgebiet: eine Bedrohung für die eigene Sicherheit

Einheimische Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen in West-Darfur setzen sich für eine kostenlose und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung von Kindern ein und bemühen sich, das Spital zu einem sichereren Ort für Patient:innen, Pfleger:innen und Mitarbeitende zu machen. Als medizinische Fachkraft im Kontext gewaltsamer Auseinandersetzungen tätig zu sein, bedeutet jedoch eine Bedrohung für die eigene Sicherheit.

Seit Beginn des Projekts zur Unterstützung des Ausbildungsspitals von El Geneina im Jahr 2021 hat Ärzte ohne Grenzen erhebliche Anstrengungen zum Aufbau von Kapazitäten des Gesundheitsministeriums unternommen. So führten wir u. a. Schulungen in der Spitalpflege durch und wirkten bei der Verwaltung der pädiatrischen Abteilungen mit. Wichtige Mitarbeitende des Gesundheitsministeriums und der Verwaltung haben sich unermüdlich dafür eingesetzt, Kindern im Alter von einem Monat bis 15 Jahren kostenlose, qualitativ hochwertige allgemeinmedizinische und fachärztliche Leistungen zu bieten.

Sie unterstützten unsere Teams auch dabei, das Spital vor Ausbruch des Konflikts zu einer sicheren Umgebung für Patient:innen, Pfleger:innen und Mitarbeitende zu machen. Seit Beginn des Konflikts setzen sie sich an der Seite von Ärzte ohne Grenzen aktiv für die Sicherheit der Einrichtung ein. Manche lokalen Mitarbeitenden setzten sogar ihr Leben aufs Spiel, indem sie sich vor der Schliessung in das Spital begaben. Alle riskieren ihr Leben und ihre Sicherheit aus dem einfachen Grund, weil sie ihre Tätigkeit als medizinische Mitarbeitende in diesem Konflikt nicht aufgeben.

Ärzte ohne Grenzen setzt sich weiterhin für die Menschen in West-Darfur ein, insbesondere angesichts der jüngsten Verschlechterung der Sicherheits- und humanitären Lage. Wir leisteten umfangreiche fachliche Unterstützung, um wichtige Mitarbeitende des Gesundheitsministeriums in der Bewältigung von Massenanfällen von Verletzten zu schulen. Auch spendeten wir medizinische Sets und Medikamente. Trotz der schwierigen Umstände beobachtet wir weiterhin die Lage vor Ort. Wir entsandten Notfallteams an die Grenzen, um auf die möglichen medizinischen Bedürfnisse von Vertriebenen zu reagieren und unsere Aktivitäten in West-Darfur aufzustocken, sobald es die Sicherheitslage erlaubt.

Wir werden uns weiterhin unermüdlich dafür einsetzen, dass die Menschen in West-Darfur und andernorts im Sudan, wo wir Unterstützung leisten können, Zugang zu dringend benötigter medizinischer Versorgung erhalten.