Die Schweiz muss aufhören Verhandlungen über Patentaussetzung zu blockieren
© Diego Baravelli/MSF
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Im Vorfeld des nächsten Treffens der Welthandelsorganisation (WTO) zum Vorschlag für einen temporären Verzicht auf Monopolrechte an Covid-19-Arzneimitteln (TRIPS-Ausnahmeregelung) kritisiert die internationale humanitäre Organisation MSF die Schweiz und die Europäische Union dafür, dass sie Verzögerungstaktiken anwenden, anstatt formelle Verhandlungen über diese entscheidende Ausnahmeregelung aufzunehmen.
Dies zu einem Zeitpunkt, an dem bereits mehr als 3,5 Millionen Menschen auf der ganzen Welt an Covid-19 gestorben sind und es krasse Ungleichheiten beim Zugang zu Covid-19-Arzneimitteln gibt. Die Europäische Union hat jetzt sogar einen Gegenvorschlag präsentiert, der allerdings nichts wirklich Neues enthält, da er lediglich die Rolle von bereits bestehenden Massnahmen wie Zwangslizenzen unterstreicht.
Möglicher Verzicht auf Monopole während der Pandemie
Wenn die Ausnahmeregelung angenommen wird, würde sie den Ländern einen entscheidenden politischen Spielraum bieten, um Hindernisse im Bereich des geistigen Eigentums (Intellectual Property - IP) zu beseitigen und die Zusammenarbeit in der Forschung und Entwicklung, der Herstellung, dem «Scale-up» und der Lieferung von Covid-19-Medikamenten, Impfstoffen und anderen Gesundheitstechnologien zu verbessern. Der Verzicht auf Monopole würde dazu beitragen, das Spielfeld in dieser Pandemie zu ebnen und den Zugang zu den wichtigsten Covid-19-Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika für alle, die sie benötigen, sicherzustellen - unabhängig davon, wo sie leben.
In den letzten Monaten haben wir alle hilflos miterlebt, wie das Gesundheitspersonal in Ländern wie Indien, Peru und Brasilien sich darum bemühte, an Covid-19 erkrankte Menschen zu behandeln.
«Ihre Gesundheitssysteme standen am Rande des Zusammenbruchs, und es war sehr schwierig, schwerkranken Covid-19-Patientinnen und Patienten in den Spitälern irgendwelche unterstützenden Therapien zukommen zu lassen, da die Sauerstoffkonzentratoren, Beatmungsgeräte und Medikamente weiterhin knapp sind. Neben Impfstoffen braucht die Welt dringend Zugang zu neueren Therapeutika und Diagnostika, um die Zahl der Spitalaufenthalte und Todesfälle in dieser Pandemie zu reduzieren. Die Regierungen müssen alles in ihrer Macht stehende tun, damit jedes Land die bestmögliche Chance hat, während dieser Pandemie so viele Leben wie möglich zu retten.»
Mehr als 100 Nationen haben sich für eine Ausnahmeregelung ausgesprochen
Die Regierungen, die den Vorschlag für eine Ausnahmeregelung mittragen, haben kürzlich einen überarbeiteten Vorschlag bei der WTO eingereicht, der den Umfang und die Dauer der Ausnahmeregelung umreisst. Damit wollen sie erreichen, dass formelle Verhandlungen zum konkreten Text beginnen. Eine wachsende Zahl von Ländern (63, Stand heute) unterstützt die Ausnahmeregelung klar, und mehr als 100 Nationen, darunter seit kurzem auch die BRICS-Staaten, haben sich grundsätzlich für eine Ausnahmeregelung ausgesprochen. Brasilien zögert jedoch noch, seine volle Unterstützung für den Waiver-Vorschlag zu erklären und definiert seine Position als "offen für Diskussionen", drängt aber gleichzeitig auf einen längeren Verhandlungszeitraum.
Nach der Ankündigung der USA vom 5. Mai, dass sie den Vorschlag unterstützen und bereit sind für textbasierte Verhandlungen, haben viele weitere Länder Interesse bekundet, die Diskussionen voranzutreiben. Die EU weigert sich jedoch bis anhin, sich auf konkrete Diskussionen über den Vorschlag einzulassen und setzt stattdessen weiterhin auf freiwillige Massnahmen der Pharmakonzerne, die bisher nur begrenzten Erfolg gezeigt haben. Die EU besteht auch darauf, dass die Länder auf eine bestehende Massnahme des öffentlichen Gesundheitswesens zurückgreifen und verweist auf die Zwangslizenzen, um die Produktion von einzelnen medizinischen Covid-19-Hilfsmitteln zu erleichtern, anstatt auf eine Ausnahmeregelung, die alle IP-Hindernisse im Voraus beseitigt.
Ärzte ohne Grenzen plädiert seit langem für den Einsatz von Zwangslizenzen, um den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu verbessern, indem Länder vom preissenkenden Effekt des Wettbewerbs zwischen Generikaherstellern profitieren. Während einer Pandemie ist dieser Weg jedoch nicht effizient: rechtliche Hindernisse, Druck von Pharmakonzernen und Bürokratie machen ihn zu schwerfällig, langsam und kompliziert, um Herausforderungen auf Pandemie-Niveau zu bewältigen. Die vorgeschlagene TRIPS-Ausnahmeregelung würde den Ländern einen effektiven und schnellen Weg bieten, um wichtige IP-Hindernisse im Voraus zu beseitigen, anstatt darauf zu warten, dass die Hindernisse eintreten und sie erst dann angehen zu können.
«Angesichts des Auftretens neuer und übertragbarerer Varianten des Virus in vielen Ländern können wir es uns nicht leisten, die Verabschiedung dieser Ausnahmeregelung und anderer Strategien zur globalen Ausweitung der Produktion und der Diversifizierung des Angebots zu verzögern. Sie sind notwendig, damit die medizinischen Hilfsmittel gegen Covid-19 für alle zugänglich und erschwinglich sind», sagte Guevara.
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