Tschad: Ärzte ohne Grenzen fordert dringend internationale Hilfe
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Der Konflikt im Sudan hat bereits über vier Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Davon haben 3.3 Millionen im eigenen Land Zuflucht gesucht, während über 380 000 sudanesische Geflüchtete in den Tschad geflüchtet sind. Dort leben sie hauptsächlich in Camps und Siedlungen in und um die Grenzstadt Adré. Unsere Teams vor Ort berichten von besorgniserregenden Lebensbedingungen: Es fehlt an Nahrung, Wasser, sanitären Anlagen, Unterkünften und medizinischer Versorgung.
Ärzte ohne Grenzen ruft die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft dringend auf, Unterkünfte, Essen, Wasser, Sanitäranlagen sowie Gesundheitsdienste in der gesamten Provinz Ouaddaï im Osten des Tschads bereitzustellen.
«Es ist schwer zu beschreiben, was diese Menschen gerade durchmachen. Manche haben seit fünf Wochen nichts mehr gegessen», sagt Susana Borges, Notfallkoordinatorin in Adré.
Aus Not geben Menschen ihren Kindern Insekten, Gras und Blättern zu essen. Wasser und sanitäre Anlagen fehlen weitgehend, und viele haben keine Unterkünfte. Wie können sie so überleben?
«Menschen warten verzweifelt auf Lebensmittelrationen, aber sie besitzen nicht einmal grundlegende Kochutensilien. Wie sollen sie kochen, wenn sie keine Töpfe haben?», fragt Borges. «Die dringendsten Gesundheitsprobleme sind Malaria, Durchfallerkrankungen und Mangelernährung. Wir tun unser Bestes, aber der Bedarf ist enorm.»
Im Sudan steigt die Zahl der Menschen, die ihre Häuser verlassen müssen, täglich. Unsere medizinischen Teams berichten von vielen Patient:innen mit Schuss- und Explosionsverletzungen. Das Gesundheitssystem im Sudan steht vor dem Kollaps. Viele medizinische Einrichtungen wurden bei den Kämpfen beschädigt und sind überlastet.
Wir sind tief besorgt über den Zugang zur Gesundheitsversorgung im Sudan und das erhöhte Epidemierisiko.
«Auch die Lage der Menschen, die in den Tschad geflohen sind, beunruhigt uns. Die humanitäre Situation könnte sich verschlimmern, wenn sie nicht rasch verbessert wird», sagt Trish Newport, Leiterin unserer Notfalleinsatz-Abteilung in Genf.
In der Provinz Ouaddaï im Osten des Tschad leisten unsere Teams mit dem Gesundheitsministerium medizinische Versorgung. Das Spital in Adré und vier Gesundhetiszentren haben ihre Bettenkapazität auf 420 Betten erweitert. In einer 38-Betten-Klinik im Camp Ecole werden täglich 460 Konsultationen durchgeführt. Die Region kämpft mit vielen Fällen von Malaria und Durchfallerkrankungen. 372 mangelernährte Kinder werden im Camp Ecole behandelt.
Im Spital von Adré werden 150 Patient:innen behandelt – meist sind es Menschen mit Schusswunden, die sie im Sudan erlitten haben. Zudem haben wir 133 Kinder mit lebensbedrohlichen Komplikationen im Zusammenhang mit Malaria und Mangelernährung aufgenommen. Wir haben auch mit der Unterstützung und Versorgung von Müttern und Opfern sexualisierter Gewalt begonnen.
Unsere Teams in Camp Ecole bieten psychologische Hilfe an und berichteten von Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt. Frauen berichteten, dass sie in ein Zimmer gesperrt und von einer Gruppe von Männern vergewaltigt wurden. Es braucht dringend entsprechende Unterstützung. Ein entschlossenes Engagement der Vereinten Nationen und anderer Organisationen ist nun entscheidend.
Erfahrungsberichte
Unsere Teams vor Ort haben Berichte von Betroffenen in beiden Ländern gesammelt: Sie zeichnen ein erschütterndes und traumatisches Bild ihrer Situation.
Erfahrungsberichte aus dem Tschad
«Ich bin nicht in der Lage, meine Familie zu ernähren. Meine Kinder sind so hungrig, dass sie Gras und Unkraut essen, das sie in der Umgebung des Camps finden.» – Ein:e Sudanesische:r Geflüchtete:r im Camp Ourang.
«Seit wir vor zwei Wochen hier angekommen sind, haben wir nichts mehr zu essen bekommen. Wir sind eine 19-köpfige Familie. Manchmal bekommen wir eine oder zwei Portionen Essen, die wir unter uns allen aufteilen müssen. Alle Lebensmittel, die wir noch hatten, sind aufgebraucht. Ich weiss nicht, wie es weitergehen soll.» – Eine Patientin, Mutter von zwei Kindern.
Erfahrungsberichte aus dem Sudan
«Als mein Dorf angegriffen wurde, floh ich in den Wald und versteckte mich dort fast eine Woche lang – ohne Essen und Wasser. Nach einer Woche gingen wir zurück, aber dort fanden wir unser Dorf voller Leichen und verbrannter Häuser vor. Ich erkannte sogar die Leichen einiger meiner Freunde und Verwandten.» – Ein 50-jähriger Patient.
«Von El Geneina bis zur tschadischen Grenze gab es jeden Kilometer einen Kontrollposten – es waren mindestens zehn. Jedes Mal haben sie dich aus dem Auto geholt, dich bedroht und dir alles weggenommen, was du hattest. Sie fragten, zu welchem Stamm du gehörst. Jeder, der antwortete, er sei Masalit, wurde auf der Stelle getötet. Es gab so viele Leichen auf dem Weg. Als wir an der Grenze, dem letzten Kontrollposten ankamen, hatten sie eine Liste mit allen einflussreichen Masalit-Leuten. Wenn dein Name auf der Liste stand, haben sie dich auf der Stelle getötet.» – Ein 60-jähriger Patient.
«Im Sudan haben sie ohne zu zögern getötet, sogar die Kinder, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sie vergewaltigten Frauen, sogar in Gruppen. Wenn sie sich wehrten, haben sie sie getötet. Wenn sie einen Raum mit 20 Männern betraten, töteten sie alle. Ich konzentriere mich auf Gott, damit er mir helfen kann.» – Ein junges Mädchen, aus dem Sudan, das in das Camp Ourang in Adré, Tschad geflüchtet ist.
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