Ein Jahr nach dem Angriff auf unser Ebola-Zentrum

Novembre 2017 dans le centre de traitement Ebola de Bunia en République démocratique du Congo.

Demokratische Republik Kongo6 Min.

Vor einem Jahr gab es einen bewaffneten Überfall auf ein Ebola-Behandlungszentrum in der Demokratischen Republik Kongo. Trish Newport, Projektkoordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen, erzählt, wie dieser Vorfall die Mitarbeitenden zwang, ihr Vorgehen rund um die Krankheit radikal zu überdenken.

«Wir werden im Ebola-Behandlungszentrum angegriffen!»

Diesen Satz hörte ich, als ich am 27. Februar des vergangenen Jahres mein Telefon abnahm. Ich war damals in Genf und gerade aus der DR Kongo zurückgekehrt, wo ich den Einsatz von Ärzte ohne Grenzen zur Bekämpfung des Ebola-Ausbruchs koordiniert hatte. Die Person, die mich anrief, befand sich selbst im besagten Zentrum in Butembo, wo sich in dem Moment bewaffnete Männer Zugang verschafften und  Schüsse abfeuerten. Als sie damit fertig waren, steckten sie das Zentrum in Brand.

Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich über 50 Patienten im 96-Betten-Zentrum. Alle flohen. Auch die 60 MSF-Mitarbeitenden des Zentrums ergriffen die Flucht. Personal und Patienten versteckten sich gemeinsam in Gebäuden in der Nähe und im umliegenden Wald. Es war für alle eine furchteinflössende Erfahrung. 

Weil Ärzte ohne Grenzen die Sicherheit der Patienten und des Personals nicht mehr gewährleisten konnte, wurden am folgenden Tag sämtliche Teams aus Butembo und der Umgebung abgezogen. Die Entscheidung fiel uns nicht leicht, aber wir hatten keine Wahl. 

Nach dem Angriff machten wir uns Gedanken über all die Dinge, die während des Ebola-Ausbruchs bisher schiefgelaufen waren.

Ich fragte eine kongolesische Mitarbeiterin, wo diese ganze Wut gegen die humanitäre Hilfe herrührt. Sie antwortete: 

«Mein Mann wurde bei einem Massaker in Beni getötet. Damals wünschte ich mir nichts mehr, als dass irgendeine internationale Organisation kommt und uns beschützt, aber es kam keine. Drei meiner Kinder sind an Malaria gestorben. Nie kam eine internationale Organisation in diese Region, um sicherzustellen, dass wir Gesundheitsversorgung und sauberes Wasser haben. Mit Ebola kommen plötzlich all diese Organisationen, weil Ebola ihnen Geld verschafft. Wenn ihr uns wirklich helfen wollt, würdet ihr uns fragen, was unsere Prioritäten sind. Meine Anliegen sind die Sicherheit und dass meine Kinder nicht an Malaria oder Durchfall sterben. Ebola hat für mich keine Priorität – das hat für euch Priorität.» 

Wir einigten uns darauf, in Zukunft die Bevölkerung wirklich anzuhören und auf ihre Prioritäten einzugehen. Sämtliche Aktivitäten würden wir nur mit der vollen Zustimmung der jeweiligen Gemeinschaft durchführen. 

Als Erstes bauten wir Brunnen. Wir stellten sicher, dass die Menschen nicht nur bei Ebola behandelt wurden, sondern ebenso bei Krankheiten wie Durchfall, Malaria und Lungenentzündung, die regelmässig tödlich verlaufen. Wenn wir Ebola-Zentren bauten, bezogen wir die lokale Bevölkerung bei der Gestaltung und Errichtung mit ein. So kam es, dass wir die Ebola-Isolationszentren nicht mehr aus Zelten konstruierten, sondern uns nach den Wünschen der Bevölkerung richteten. Entsprechend sahen einige aus wie Holzhütten, andere wie die Gesundheitszentren, denen sie angeschlossen waren. 

Wir überliessen die Führung den jeweiligen Gemeinschaften mit dem Resultat, dass sie sich als Besitzer der Ebola-Zentren fühlten.

Fortan wehrten sich die Menschen nicht mehr dagegen, bei Verdacht auf Ebola isoliert zu werden, und kamen von selbst in die Zentren, wenn sie sich krank fühlten. Dies führte zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der Ebolafälle. 

Aber eigentlich sind das ja keine bahnbrechenden Erkenntnisse. Tatsächlich war eine der grössten Lehren, die wir aus dem Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014-15 gezogen hatten, dass man eine Epidemie nur mit dem Miteinbezug der Bevölkerung aufhalten konnte. Es war eine Lehre, die aber irgendwo vergessen ging, und nicht nur von Ärzte ohne Grenzen. 

Die Bekämpfung des Ebola-Ausbruchs in der DR Kongo, bekannt als «Riposte», wurde von der kongolesischen Regierung mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt. Alle Organisationen, die bei den Massnahmen gegen die Ebola-Epidemie involviert waren, einschliesslich internationaler Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, haben bei der Riposte mitgewirkt. 

Zu Beginn des Ausbruchs im August 2018 befanden sich alle Beteiligten, auch Ärzte ohne Grenzen, sofort im Notfall-Modus: Basierend auf dem klassischen Ansatz des schnellen Handelns bei einer gesundheitlichen Notfallsituation sendeten sie hunderte Mitarbeitende vor Ort und nahmen umgehend ihre Arbeit auf.

Dabei nahm man sich keine Zeit, mit den betroffenen Gemeinschaften in den Dialog zu treten, Vertrauen zu bilden oder zu berücksichtigen, dass der Ausbruch in einer Region stattfand, die in den vorigen Jahren von Konflikten geplagt wurde und in der es zu Massakern an der Bevölkerung gekommen war.

Zwangsisolierung von Patienten und bewaffnetes Personal in Gesundheitseinrichtungen

Trotz der Millionen, die in die humanitären Massnahmen zur Bekämpfung von Ebola flossen, stieg die Zahl der Fälle weiter an und die Krankheit breitete sich in weitere Regionen aus. 

Mit der Zeit gingen die an der Riposte Beteiligten zwar mehr auf die lokale Bevölkerung ein, gleichzeitig setzten sie aber Massnahmen fort, die einen Graben zwischen die Helfer und die Menschen vor Ort riss. Dazu gehören der bewaffnete Begleitschutz, die Zwangsisolierung von Patienten und Zwangsbeerdigungen sowie das bewaffnete Personal in Gesundheitseinrichtungen. 

Diese Massnahmen machtes es nicht nur schwierig, den Ausbruch zu stoppen, sondern führten auch dazu, dass die Menschen aus Angst vor bewaffneten Personal oder davor, als möglicher Ebola-Verdachtsfall identifiziert zu werden, normale Gesundheitszentren mieden. Man kann nur Vermutungen anstellen, wie viele Menschen mit Krankheiten, die nichts mit Ebola zu tun hatten, aufgrund dieses Ansatzes keine vernünftige Gesundheitsversorgung erhielten. 

Trotz all dieser Probleme geht die Anzahl der Ebola-Erkrankten langsam zurück und hoffentlich wird der Ausbruch bald ganz zu Ende sein. 

Sollen wir das Ende der Epidemie feiern? Den Einsatz als Erfolg verbuchen? Ich bin mir nicht so sicher.

Ich befürchte, dass die zahlreichen Organisationen, die bei der Bekämpfung mitgewirkt haben, sich gratulieren werden, wenn alles vorbei ist. Dass sie sagen, die Epidemie sei dank ihres Einsatzes besiegt, obwohl sie eher trotz ihres Einsatzes vorbei ist. Das könnte ein beunruhigendes Signal für das Vorgehen bei künftigen Ausbrüchen aussenden, wo der Einsatz von Zwang, bewaffneten Eskorten und Präsenz von bewaffnetem Personal in Gesundheitseinrichtungen zum Normalfall wird – auf Kosten des respektvollen Umgangs mit Menschen und deren Einbeziehung bei Entscheidungen über ihre Gesundheit.

Den Anruf vom letzten Februar werde ich nie vergessen. Es ist entsetzlich, zu hören, wie das eigene Personal – praktisch die eigene Familie – unter Beschuss gerät. Auch die schmerzliche Entscheidung, unsere Teams aus Butembo zu evakuieren und dabei Menschen zurückzulassen, die so dringend Hilfe benötigen, werde ich nicht vergessen. Ich werde mich aber auch immer an die positiven Auswirkungen der Änderungen erinnern, die wir nach diesem Angriff einleiteten; als wir endlich wirklich mit den Menschen vor Ort kommunizierten und sie in unseren Kampf gegen die Krankheit miteinbezogen und diesen Kampf auch zu dem ihren machten. Ich hoffe, dass diese Lehren nicht vergessen oder ignoriert werden, wenn der nächste Ausbruch kommt.»