Gewalt in Ituri: Eine vergessene, aber massive Krise

Wasserstelle in einem Vertriebenenlager in Djugu, Provinz Ituri. 20. Mai 2020

Demokratische Republik Kongo3 Min.

Den Medien zufolge leidet die Demokratische Republik Kongo vor allem unter zwei tödlichen Krankheiten: Ebola und Covid-19. Doch das Leben der Menschen im extremen Nordosten des Landes wird täglich von einer viel älteren und anhaltenden Krise bestimmt – den bewaffneten Konflikten. Alex Wade, MSF-Einsatzleiter in der DR Kongo, berichtet.

Die aktuelle Gewalt in der Provinz Ituri hat ihre Wurzeln in einem seit vielen Jahren anhaltenden Konflikt. Im Zeitraum von 1999 bis 2003 verloren bei den blutigen Auseinandersetzungen rund 50 000 Personen ihr Leben. Nach Beginn der Abrüstungsgespräche 2006 beruhigte sich die Lage zwar deutlich, doch zehn Jahre später begann der Krieg erneut und hält seitdem an.

Ich bin seit November 2019 in Ituri und koordiniere die medizinischen Programme, die Ärzte ohne Grenzen infolge der gewaltsamen Konflikte und deren Auswirkungen ins Leben gerufen hat. Seitdem bin ich Zeuge der Situation vor Ort. Erneut wird die Zivilbevölkerung unfreiwillig in die Auseinandersetzungen verwickelt, erneut zahlt sie den Preis für diesen Konflikt.

Katastrophale Lebensbedingungen

Als ich die Lager von Nizi – einem Distrikt von Ituri mit über 20 Vertriebenenlagern – das erste Mal durchquerte, konnte ich kaum glauben, dass einige von ihnen bereits seit zwei Jahren existieren. In den meisten Unterbringungen sind die Lebensbedingungen katastrophal. Komplette Familien teilen sich behelfsmässige enge Notunterkünfte. Der Zugang zu Wasser und Sanitäreinrichtungen entspricht den internationalen Mindeststandards bei weitem nicht. In mehreren Lagern stehen keine Latrinen zur Verfügung. Die Verteilung von Gütern des täglichen Bedarfs wie Moskitonetze finden nur unregelmässig oder gar nicht statt, so dass viele der Menschen Malaria während der Hochsaison hilflos ausgesetzt sind. 

Vertriebenenlager in Djugu, Provinz Ituri. Demokratische Republik Kongo, 20. Mai 2020

Vertriebenenlager in Djugu, Provinz Ituri. Demokratische Republik Kongo, 20. Mai 2020

© MSF/Avra Fialas

Das Ausmass der Krise zeigte sich bei unserer Studie zur Sterblichkeitsrate, die wir im Dezember 2019 durchführten: Die Sterblichkeitsrate bei neu angekommenen Kindern unter fünf Jahren überschritt den Notfallgrenzwert um das Dreifache. Daraufhin verteilte Ärzte ohne Grenzen in grossem Stil Moskitonetze, verstärkte ihre Sanierungs- und Hygieneaktivitäten, baute Latrinen und Duschen und installierte Trinkwasserquellen. Trotz dieser Anstrengungen entspricht die Hygienesituation in den Lagern weiterhin nicht den akzeptierbaren Normen.

 

Ein «Paradies» geprägt von Leid

Die Stadt Drodro liegt zwischen grünen Hügeln und Tälern und wäre paradiesisch, wenn nicht die Gewalt so hoch und das Leid so gross wäre. Wir arbeiten hier in der Kinderabteilung des Distriktspitals und sind für chirurgische Eingriffe, vor allem für die Stabilisierung von Kriegsverletzten, verantwortlich. In Drodro kommt es häufig zu Zusammenstössen zwischen bewaffneten Gruppen und der kongolesischen Armee. Nach den gescheiterten Gesprächen zur Entwaffnung letzten Februar flammte die Gewalt wieder auf und trieb allein innerhalb der letzten Monate über 200 000 Menschen in die Flucht. In den Lagern kamen zahlreiche neue Vertriebene an, was die wenigen zur Verfügung stehenden Ressourcen noch mehr strapaziert.  

Zudem sind wir in Wadda tätig, einem Dorf 12 Kilometer westlich von Drodro, wo Ärzte ohne Grenzen ein Gesundheitszentrum unterstützt.  Am 2. Mai erreichte uns dort der Krieg. Mehr als 200 Häuser wurden niedergebrannt und das Gesundheitszentrum wurde ausgeplündert. Leider war dies nicht die erste Gesundheitseinrichtung, die dieses Schicksal ereilte. Allein im Mai berichtete die Lokalpresse von mindestens vier Einrichtungen, die in einem Nachbardistrikt angegriffen wurden. Wadda ist nun völlig verwaist, da die gesamte Bevölkerung geflohen ist. Wie viele andere Vertriebene wollten sich auch die Einwohner von Wadda nicht in Gruppen in Lager begeben, da sie fürchten, dort bei künftigen Angriffen einfache Zielscheiben zu sein. 

Sie haben uns am helllichten Tag überfallen. Wir sind mit unseren Familien in den Busch geflohen.

Nojilo Laki Emmanuel, Vorsteher der Dorfgemeinschaft von Wadda.

«Eine Woche später griffen sie erneut an. Seitdem schlafen wir im Busch, ohne Lebensmittel oder Unterkunft und sind den Gefahren der Natur während der bevorstehenden Regenzeit schutzlos ausgesetzt. Wir können nicht zurück. Unsere Häuser sind niedergebrannt. Alles liegt in Schutt und Asche», erzählt Nojilo Laki Emmanuel, Vorsteher der Dorfgemeinschaft von Wadda. 

Wir konnten wenigstens einige der Menschen, die sich verstecken, finden. Wir organisierten mobile Kliniken und begannen mit unserer Unterstützung des nicht weit entfernten Gesundheitszentrums in Bodo. 

Es ist dringender notwendig denn je, bezüglich Wasserversorgung und Hygiene die internationalen Normen einzuhalten. Wenn Covid-19 jedoch unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, so wie das schon bei Ebola der Fall war, dann wird diese Krise verdeckt bleiben und lange anhalten – und die Einwohner von Ituri werden nach wie vor vergessen.