Griechenland: Psychische Notlage in gefängnisähnlichen Zentren für Geflüchtete

Gesundheitspromotor Patienten Zervou-Zentrum auf Samos. Griechenland. 2022.

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Ein Jahr nach der Errichtung von neuen Aufnahmezentren für Geflüchtete und Migrant:innen auf den griechischen Inseln warnt Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) vor schweren gesundheitlichen Folgen für die Bewohner:innen. In dem Zentrum Zervou auf der Insel Samos, wo wir eine mobile Klinik betreiben, ist die medizinische Versorgung der Menschen unzureichend und die gefängnisähnlichen Bedingungen haben eine enorme psychische Belastung zur Folge. Neben Samos wurden auch auf den Inseln Kos und Leros derartige von der EU mitfinanzierten «geschlossene Zentren mit kontrolliertem Zugang» errichtet, wo Migrant:innen und Geflüchtete auf die Bearbeitung ihres Asylantrages warten sollen. Weitere sollen 2023 auf Lesbos und Chios folgen.

Die meisten Bewohner:innen sind vor Konflikten oder Verfolgung in ihren Heimatländern geflüchtet, viele von ihnen waren auf ihrer Reise entsetzlicher Gewalt ausgesetzt. In den Zentren werden die Menschen mit doppelten Stacheldrahtzäunen, Röntgenstrahlen und biometrischer Identifizierung empfangen. «Die Menschen im Zervou-Zentrum erzählen uns, dass sie Menschenhandel, sexuelle Übergriffe, Zwangsarbeit und Schläge überlebt haben», sagt Nicholas Papachrysostomou, Einsatzleiter. «Einige haben miterlebt, wie ihre Familienangehörigen bei früheren Zwangsrückführungen oder bei Schiffsunglücken ums Leben kamen. In diesen gefängnisähnlichen Zentren werden ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigt und sie erleiden Schäden an ihrer psychischen und physischen Gesundheit, die vermeidbar wären.» 

Fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung

Nur Personen mit einem sogenannten Asylausweis können das Zervou-Zentrum verlassen, aber die Registrierung für einen Ausweis kann 25 Tage oder länger dauern. Alle Neuankömmlinge werden daher faktisch festgehalten. Bislang hat die Leitung des Zentrums Menschen ohne Ausweis zu Arzt- oder Gerichtsterminen vorgelassen, aber das kann sich jederzeit ändern.

«Ein grosser Mangel ist der fehlende Zugang der Menschen zu medizinischer Versorgung», sagt Sonia Balleron, Projektkoordinatorin auf Samos. Kranke Bewohner:innen müssen mit administrativen Verzögerungen von bis zu mehreren Monaten rechnen, wenn sie Versorgung benötigen, die auf Samos nicht verfügbar ist. Bis vor kurzem wurden Neuankömmlinge zudem in eine geschlossene Corona-Quarantänestation geschickt, wo es keine Möglichkeit gab, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Dies hat teilweise zu einer vermeidbaren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Patient:innen geführt.


Psychischer Zustand der Menschen verschlimmert sich

Bei Menschen, die schon zuvor traumatische Erfahrungen gemacht haben, verschlimmert sich zudem der psychische Gesundheitszustand durch die gefängnisähnlichen Bedingungen, die Segregation und die Sicherheitsinfrastruktur. Zwischen September 2021 und September 2022 wiesen 40 Prozent der von Ärzte ohne Grenzen betreuten Patient:innen auf Samos Symptome auf, die auf ein psychisches Trauma zurückzuführen waren. Die Nachfrage nach den psychiatrischen Diensten unserer Teams war konstant hoch.

Mittlerweile leiden alle Bewohner:innen unter einer grundlegenden psychischen Belastung. Wir beobachten Körperschmerzen, Dissoziation, Depression und Schlafstörungen. Die Menschen fühlen sich gedemütigt, wenn sie unter diesen Bedingungen leben.

Elise Loyens, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen

«Unsere Erfahrungen mit der Betreuung im Zervou-Zentrum unterstreichen die Gefahren geschlossener Zentren», sagt Papachrysostomou. «Migrant:innen und Geflüchtete brauchen Zugang zu qualitativ hochwertiger, zeitnaher medizinischer Versorgung. Die Behörden sollten in menschenwürdige Aufnahmebedingungen und sichere Unterbringung investieren – zum Beispiel in Gemeinschaftsunterkünften – und Integrationsprogramme auflegen. Die Menschen brauchen ein sicheres, unterstützendes und humanes Umfeld, um sich registrieren zu lassen und ihren Asylantrag zu stellen, ohne das Risiko einer erneuten Traumatisierung. So ist es schliesslich auch von der internationalen, der nationalen und der EU-Gesetzgebung vorgesehen.»