Honduras: Psychologische Versorgung zugänglicher machen

In Honduras fehlt es an psychologischen Hilfsangeboten und Anlaufstellen für psychiatrische Notfälle. In der Region Cortés verfügt das öffentliche Gesundheitssystem nur über drei Psycholog:innen.

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Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) ist im Norden von Honduras tätig, um psychologische Hilfsangebote zugänglicher zu machen. 2023 hielten unsere Teams mehr als 4430 psychologische Konsultationen ab – doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Zudem haben wir erwirkt, dass Menschen kostenlos Psychopharmaka erhalten, wenn sie welche benötigen. Hier sind einige persönliche Berichte unserer Patient:innen.

Ärzte ohne Grenzen setzt sich dafür ein, den Honduraner:innen einen besseren Zugang zu psychologischer Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Als Rahmen dient das mhGAP-Programm, das Aktionsprogramm der WHO zu psychischer Gesundheit. Das mhGAP-Programm umfasst die Schulung, Betreuung und klinische Supervision des medizinischen Personals, sodass dieses in der Lage ist, psychische Erkrankungen zu erkennen, psychosoziale Interventionen anzubieten und Medikamente zu verschreiben.

Joel: «Man realisiert von Sitzung zu Sitzung immer mehr: Es geht nicht darum, ob man verrückt ist oder nicht, sondern darum, seine psychische Gesundheit zu verbessern.»

«Als man mir empfahl, einen Psychologen aufzusuchen, war ich skeptisch. Ich bin ja schliesslich nicht verrückt. Doch im Laufe der Sitzungen realisiert man, dass es darum gar nicht geht – sondern darum, etwas für seine psychische Gesundheit zu tun», sagt der 32-jährige Joel, der in La Lima wohnt.

Joel war vor vielen Jahren in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er mehrere Knochenbrüche erlitt. Um die Schmerzen zu lindern, nahm er jahrelang injizierbare Medikamente. «Ich wusste nicht, dass die Medikamente süchtig machen. Über Jahre spritzte ich mir das Medikament 18 bis 20 Mal am Tag. Zwei Mal versuchte ich, mich umzubringen.  Wegen der Schmerzen und weil ich nicht von dem Medikament loskam», erklärt er.

Porträt von Joel

Porträt von Joel.

© MSF

«Das Programm half mir sehr. Ich habe schlimme Dinge erlebt und viel Leid durchgemacht, nun wollte ich es wirklich schaffen und aus dieser Situation herauskommen. Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.» Und er machte tatsächlich Fortschritte: «Früher nahm ich das Thema psychische Gesundheit nicht ernst. Aber wenn ich sehe, wie viel besser es mir jetzt geht, kann ich ganz klar sagen, dass psychische Gesundheit sehr wichtig ist.»

Elvia: «In der Klinik von Ärzte ohne Grenzen half man mir, aus der Krise herauszukommen – jetzt bin ich ein stabiler Mensch.»

Elvia, 52, kommt ursprünglich aus San Pedro Sula und ist seit mehr als einem halben Jahr eine Patientin von uns. Sie leidet unter Gewaltsituationen, die sie in ihrer Kindheit erlebt hat – und unter konstanter Diskriminierung. «Ich werde wegen meines Alters und wegen meiner Hautfarbe diskriminiert, weil ich zu der Gemeinschaft der Garifuna gehöre, einer Volksgruppe der honduranischen Karibik.»

Elvia erzählt zudem von Diskriminierung bei der Gesundheitsversorgung. «Ich bin seit 25 Jahren HIV-positiv. Das ist noch eine zusätzliche Belastung. Es sind nicht nur rassistische Bemerkungen, Diskriminierung gibt es auch im Gesundheitssektor. HIV-positive Menschen werden nicht betreut, und wir werden immer an das SAI (ein Dienst für Menschen mit HIV) verwiesen.»

Sie erzählt, weshalb sie in unsere Klinik kommt: «Ich wurde vergewaltigt, als ich zehn Jahre alt war, und wurde deswegen nie behandelt. Das liess mich nie los, ich musste immer wieder daran denken. Ich war nie wirklich glücklich und meine Familie erfuhr nie davon. Vor Kurzem wurde ich an einem Strand nochmal vergewaltigt. Ich fragte mich: Wurde ich dazu geboren, vergewaltigt zu werden?»

Porträt von Elvia.

Porträt von Elvia.

© MSF

Elvias Mutter starb, als sie acht Jahre alt war. «In meinem Leben gab es zu viele Verluste», sagt sie. «Mein Vater war ein Macho. Meine Schwester und ich lebten bei unserer Grossmutter, und ihr Partner versuchte nachts immer wieder, uns zu missbrauchen.» Später lebte Elvia bei einer anderen Grossmutter, deren Partner sich ebenfalls an ihr vergreifen wollte. «Als ich es meiner Grossmutter sagte, schlug sie mich, warf mich zu Boden und schrie, ‹hör auf, ihn schlechtzumachen›. Aber mir war es lieber, geschlagen als angefasst zu werden.»

Elvia fährt fort: «Ich wollte nicht angefasst werden. Ich hatte Pläne, ich wollte heiraten wie alle anderen. Ich war psychisch krank, ich war sehr deprimiert. Die vielen Probleme hatten mich aus der Bahn geworfen. Hier in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen half man mir endlich, aus der Krise herauszukommen – dank der Medikamente bin ich nun ein stabiler Mensch. Ich weiss jetzt, was ich will. Ich probiere, meine Probleme zu lösen und mich selbst zu respektieren.»

Milson: «Ich arbeite noch immer daran, mit meinen Ängsten zu leben, und es hat mir sehr geholfen.»

Milson, 36, gehört zur LGBTIQ+-Gemeinschaft und widmet sich der Herstellung von Kunsthandwerk aus Kaltporzellan. Seit einem Jahr erhält er von unseren Teams Psychotherapie und Psychopharmaka, auch auf Anraten seines Partners. 

«Ich leide an einer generalisierten Angststörung, ich habe Krisen und Panikattacken. Mein Partner sah, dass es mir schlecht ging und ermutigte mich, in die Klinik zu gehen. Auch ich wollte mein Problem in Angriff nehmen. Da ich auch Schlafprobleme habe, gab man mir Medikamente gegen Angstzustände und zum Schlafen. Es ist ein Vorteil, dass man die Medikamente gleich vor Ort erhält, und das kostenlos.»

Milson erzählt weiter, dass vorherige Versuche bei Psycholog:innen nicht erfolgreich waren. «Ich fand keinen Draht zum Psychologen und konnte in keiner Weise davon profitieren. Das fand ich enttäuschend», so Milson. «Die Klinik von Ärzte ohne Grenzen ist ein sicherer Raum für Menschen der LGBTIQ+-Gemeinschaft und auch die Chemie mit der Psychologin hier stimmte. Ich werde gut behandelt und erhalte regelmässige Therapiesitzungen.»

Porträt von Milson

Porträt von Milson.

© MSF

Das Gärtnern ist etwas, das Milson im täglichen Leben Halt gibt. Ich habe mehr als 30 Pflanzen. Meine Psychologin meinte, ich solle mich mehr um sie kümmern. Ich gebe mir Mühe und stehe extra früh auf, um sie zu giessen – ich schaue regelmässig nach ihnen und spreche sogar mit ihnen», vertraut er uns an.

Zu den Ergebnissen der Therapie sagt Milson: «Vorher waren Orte mit vielen Menschen schwierig für mich. Das machte mir Angst. Jetzt kann ich rausgehen und in einem Restaurant essen. Manchmal hindert einen der Kopf, etwas zu tun, aber wenn man es probiert und Vertrauen hat, kann man es schaffen. Es ist nicht einfach, aber wenn man sich Unterstützung sucht, ist vieles möglich. Darum ermuntere ich die Menschen, sich Hilfe zu suchen.»