Mexiko: Wir unterstützen Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben
© Christina Simons/MSF
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Marbella hat viele Hindernisse überwunden, um den sexualisierten Übergriffen ihres Ehemannes zu entkommen und um endlich Hilfe zu bekommen. «Meine Familie sagte mir, dass es normal ist, dass sowas in allen Beziehungen passiert und dass ich damit klarkommen muss», erzählt sie. Ihre Erfahrungen teilt sie mit vielen Betroffenen in der mexikanischen Stadt Acapulco. Gewalt ist hier im öffentlichen und privaten Alltag allgegenwärtig. Die Menschen für das Thema gewalttätige Übergriffe zu sensibilisieren und ihnen mögliche Auswege zu zeigen, ist Teil der Arbeit von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Mexiko.
Acapulco, eine Stadt am Pazifik, war lange Zeit vor allem für ihre Badestrände und professionelles Klippenspringen bekannt. Heute ist sie einer der Orte mit den höchsten Mordraten der Welt. Gewalt hat hier viele Formen: Morde, Entführungen, Erpressung, Schiessereien, Vergewaltigungen und gewalttätige Übergriffe gehören in vielen Stadtteilen zum Alltag. Gewalt wird normalisiert und durchdringt sowohl das öffentliche als auch das private Leben. So wie das der 22-jährigen Marbella.
Die junge Frau wurde von ihrem Ehemann missbraucht und musste viele Hindernisse überwinden, bevor ihr geholfen wurde. Ihrem Wunsch, die gewalttätige Beziehung zu verlassen, wurde mit Unverständnis begegnet. «In den Augen der anderen war ich diejenige, die sich komisch verhielt», erzählt Marbella. Doch sie gab nicht auf und erfuhr schliesslich von einem Ort, an dem sie die Unterstützung bekam, die sie so dringend suchte.
Wenn Gewalt und Angst zum Alltag gehören
Unsere Teams betreuen in Acapulco ein Projekt für Überlebende von Gewalt. Der Fokus der Einrichtung liegt auf medizinischer, psychologischer und sozialer Unterstützung für Überlebende sexualisierter Gewalt. «Als wir dieses Projekt initiiert haben, wurde uns bewusst, dass Gewalt für die Bevölkerung von Acapulco normal geworden war», sagt Nadia Rivera, MSF-Psychologin im Bundesstaat Guerrero. «Der tiefgreifende Einfluss auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung war offensichtlich.»
Die Menschen sind daran gewöhnt, in Angst zu leben. Zudem ist sexualisierte Gewalt ein weitverbreitetes soziales und kulturelles Problem.
Das Projekt beinhaltet daher auch ein Programm zur Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema sexualisierte Gewalt. So wollen wir sexualisierter Gewalt vorbeugen und die Menschen darin schulen, Fälle von Gewalt und Missbrauch zu erkennen.
«Als ich nach Hilfe suchte, haben sie mir gesagt, dass ich selbst schuld war. Erst als ich zu einer Beratung von MSF ging, realisierte ich, dass niemand eine solche Situation aushalten muss. Ich bekam Hilfe, als ich sie am meisten brauchte. Ich hatte die Hoffnung verloren, schämte mich und dachte, dass meine Familie recht hat. Deshalb hatte ich aufgehört, nach Hilfe zu suchen. Es war für mich so wichtig, doch noch jemanden zu finden, der mir zuhört und hilft», sagt Marbella.
Frühzeitige Behandlung ist entscheidend
Die seelischen Wunden, die durch sexualisierte Gewalt hervorgerufen werden, sind oft tief. Darüber hinaus ist eine schnelle medizinische Versorgung nach einem Übergriff essentiell. Eine Behandlung in den ersten 72 Stunden kann ausreichen, um eine Infektion mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu vermeiden und eine Schwangerschaft zu verhindern. Ziel des Projektes ist es daher auch, die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, nach einem Übergriff möglichst umgehend Hilfe zu suchen.
Medizinische und psychosoziale Hilfe in Spitälern
MSF bietet zudem, in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium des Bundesstaates Guerrero, in zwei weiteren städtischen Spitälern umfassende medizinische und psychosoziale Hilfe für Überlebende sexualisierter Gewalt an. 2018 wurden 58 Betroffene in den beiden Projekten behandelt, 47 von ihnen waren Frauen und 40 Prozent der Patientinnen und Patienten waren noch minderjährig.
Als Frau ist es nicht leicht, seine Stimme zu erheben. Aber habt keine Angst […]. Man muss nur die Hindernisse aus dem Weg räumen, um zu sagen: ‹Genug ist genug!›
Marbella hat mit der Unterstützung ihrer Psychologin Nadia Rivera ihr Leben wieder in ihre eigenen Hände genommen. Heute spricht sie anderen Menschen Mut zu: «Ich habe an viele Türen geklopft und um Hilfe gebeten, aber ich wurde immer wieder abgewiesen. Ich stiess auf viele Hindernisse. Ich habe auf viele verschiedene Arten Gewalt erlebt. Als Frau ist es nicht leicht, seine Stimme zu erheben. Aber habt keine Angst, es gibt immer gute Menschen, die euch helfen werden. Man muss nur die Hindernisse aus dem Weg räumen, um zu sagen: ‹Genug ist genug!›»
© Christina Simons/MSF