MSF beendet dreijährigen Einsatz in der Region Tschadsee
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Tschad5 Min.
Mit der Entspannung der Notlage in der Region Tschadsee beschloss MSF, sich allmählich zwischen 2017 und 2018 aus dem Gebiet zurückzuziehen.
Die Aktivitäten endeten im Juni 2018. Um die Kontinuität der angebotenen Dienstleistungen zu gewährleisten, wurden die Aktivitäten etappenweise und in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und den in der Region aktiven humanitären Partnerorganisationen eingestellt.
Rückblick auf die letzten drei Jahre der Tätigkeit.
Eine regionale humanitäre Krise
Ab 2013 hatte eine gewalttätige humanitäre Krise die Region Tschadsee heimgesucht. Hunderttausende Menschen waren zwischen Niger, Nigeria, Kamerun und Tschad auf der Flucht vor unaufhörlicher Gewalt, brutalen Angriffen, Plünderungen, der systematischen Zerstörung ganzer Dörfer, Militäroperationen und Zusammenstössen zwischen Streitkräften sowie bewaffneten Gruppen, die sie zwangen, ihre Häuser zu verlassen.
Zwei Jahre später, im Jahr 2015, waren laut Zahlen des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge im Norden Nigerias annähernd 1,4 Millionen Menschen vertrieben worden und hatten rund 170'000 von ihnen im Kamerun (56'000), im Tschad (14'000) und in Niger (100'000) Zuflucht gesucht.
Massive Bevölkerungsvertreibung in der Region
2015 war die Tschad-Küste am See mit einer massiven Vertreibung der Bevölkerung in der Region konfrontiert: 48'000 Binnenvertriebene schlossen sich nach Angaben des OCHA den Tausenden von nigerianischen Flüchtlingen an, die vor der Gewalt flohen.
Ein Jahr später war die Zahl der Vertriebenen, Rückkehrer und Flüchtlinge in der Region Tschadsee auf über 125'000 gestiegen.
Angesichts dieser prekären Lebensbedingungen, durch die das Überleben dieser Tausenden von Menschen bedroht war, war der Einsatz von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) im März 2015 dringend erforderlich gewesen.
Zwei Projekte wurden in Bol und Baga Sola ins Leben gerufen, um die sanitäre Lücke in diesem Gebiet zu schliessen und den unmittelbaren Bedürfnissen der auf der Flucht befindlichen, mittellosen Bevölkerung gerecht zu werden. MSF-Teams retteten Hunderttausende Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die ohne Zugang zu Trinkwasser und Gesundheitsversorgung, ohne Nahrungsressourcen oder Hygienedienste in notdürftigen Strohunterkünften lebten.
Die meisten der behandelten Pathologien standen in Zusammenhang mit einem nur schwach ausgebauten Gesundheitswesen oder dem Mangel an Nahrung und Trinkwasser, Unterbringung und angemessener medizinischer Versorgung. Darüber hinaus gab es viele andere Krankheiten, die nicht auf der Haut der Patienten sichtbar waren. Dabei handelte es sich um viel tiefere Narben: Erlittene Gewalt, brutale Ereignisse wie Folterungen und Entführungen, das Trauma, alles aufgeben zu müssen, zu sehen, wie die eigene Familie auseinander gerissen wird – all das hatte die psychische Gesundheit der Bevölkerung stark beeinträchtigt.
Zwischen 2015 und 2018 leiteten die Teams von MSF mobile Kliniken in der Umgebung von Baga Sola, Bol, Liwa und Kiskawa, um den Vertriebenen und der lokalen Bevölkerung medizinische Grundversorgung und psychologische Betreuung zu bieten. MSF unterstützte zudem das Gesundheitszentrum von Tchoukoutalia und bot psychologische Betreuung für nigerianische Flüchtlinge im Lager Dar es Salaam.
In Bol garantierte MSF die Sanierung des Operationssaals und der Entbindungsstation des Regionalspitals, in dem die MSF-Teams auch die Abteilungen Pädiatrie und Ernährung unterstützten. Auf den Inseln Fitiné und Bougourmi und im Distrikt Sawa waren die Teams in den Entbindungsstationen tätig und beteiligten sich an den Aktivitäten zur Müttergesundheitsförderung. Dank dieser Aktivitäten in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium konnten zwischen 2015 und 2018 in Bol 3'861 vorgeburtliche Untersuchungen und 1'036 Entbindungen unter medizinischer Kontrolle durchgeführt werden.
Die Mitarbeiter von MSF haben ausserdem extrem schwierige Momente mit der Bevölkerung in dieser Gegend des Landes durchlebt und konnten bei den mörderischen Angriffen in Baga Sola im Oktober 2015 und auf der Insel Kelfoua im Dezember 2015 Unterstützung und notwendige Hilfe leisten.
Die Krise schwächt sich ab, aber der Hilfsbedarf bleibt bestehen
Nach einer äusserst dringlichen humanitären Lage in der Region Tschadsee zwischen 2015 und 2016 profitiert die Region heute von relativer Ruhe.
Trotz gewalttätiger Ausschreitungen und anhaltender Angriffe, welche die äusserste Inselzone immer wieder destabilisieren, und anhaltender sozioökonomische Fragilität entspannt sich die Notlage.
Die Bedingungen für die Vertriebenen haben sich dank der von den verschiedenen anwesenden humanitären Akteuren garantierten Hilfeleistungen verbessert und es wurden Rückkehrbewegungen gemeldet: Annähernd 51'000 Vertriebene sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration bereits in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt. Dennoch besteht immer noch Bedarf an humanitärer Hilfe und auch die Rückführungen können zweifellos den Einsatz nachhaltiger Dienste und Lösungen erfordern, um diese Menschen würdig und in Sicherheit wieder zu integrieren.
Die Entscheidung von MSF
«Die Entscheidung, die Region Tschadsee zu verlassen, war alles andere als leicht», berichtet Hassan Maiyaki, Landeskoordinator von MSF. «Heute ist die Notlage, die ursprünglich unseren Einsatz in Bol und Baga Sola erforderlich machte, nicht mehr aktuell. Die Situation in der Region Tschadsee ist entspannt, es sind immer mehr Stabilisierungszeichen unter der lokalen und vertriebenen Bevölkerung zu erkennen und andere nationale Akteure und Entwicklungsorganisationen vor Ort.»
Während der Ausstiegsphase unterstützte MSF das Regionalspital von Bol und die Gesundheitszentren um Bol und Baga Sola durch Arzneimittelspenden, Personalschulungen und Spenden von Wagen und Pferden, um den Transport von Patienten mit Komplikationen in sanitäre Einrichtungen zu gewährleisten. Im Gesundheitszentrum von Liwa, das trotz der geringen Aufnahmekapazität auch als Distriktspital dient, hat das MSF-Team eine stationäre Abteilung mit zehn Betten errichtet und biomedizinische Geräte sowie die Ausbildung der Spitalmitarbeiter sichergestellt.
MSF ist weiterhin im östlichen Tschad und im Süden des Landes präsent und verfügt über eine Notfalleinheit (CERU), die in der Lage ist, schnell einzugreifen und innerhalb von weniger als 72 Stunden medizinische Versorgung zu bieten.
In Am Timan, in der Salamat-Region, unterstützt MSF das Spital auf dem Höhepunkt der Ernährungskrise, die während der Hungerperiode bis Ende Oktober 2018 auftritt, und behandelt Patienten mit akuter Mangelernährung und medizinischen Komplikationen. Darüber hinaus leistet MSF Unterstützung für die Abteilung Neonatologie und die Geburtsstation bei Entbindungen mit Komplikationen. MSF ist auch weiterhin in Moissala tätig und bietet nach einem neuen Zustrom zentralafrikanischer Flüchtlinge im Jahr 2018 medizinische Versorgung in der Region Logone Oriental.
Die Teams von MSF sind zudem an mehreren Orten in den drei anderen Anrainerstaaten des Tschadsees präsent. Im Norden Nigerias leistet MSF wichtige medizinische Hilfe für die Vertriebenen und die Aufnahmebevölkerung in den Bundesstaaten Borno und Yobé. MSF ist in den Gesundheitseinrichtungen von Maroua, Mora und Kousséri im Norden des Kamerun präsent. Wichtige medizinische Hilfe wird auch in der Region Diffa im Niger sichergestellt.
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