Gefangenschaft, Gewalt und Chaos traumatisieren Asylsuchende auf Lesbos
© Robin Hammond/Witness Change
Griechenland3 Min.
Die Lage der Männer, Frauen und Kinder im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat sich weiter verschlechtert. Immer wieder kommt es in dem völlig überfüllten EU-Hotspot zu Unruhen, gewaltsamen Auseinandersetzungen und sexueller Gewalt.
Die Lebensbedingungen im Camp sind sehr schlecht. Dies hat gravierende Folgen für die psychische Gesundheit von tausenden Menschen im Lager, wie das psychologische Team von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) feststellt. Viele Kinder, die bereits auf der Flucht Traumatisches erlebt haben, werden in Moria erneut traumatisiert. Immer mehr Minderjährige leiden unter Panikattacken, Selbstmordgedanken oder haben bereits Selbstmordversuche unternommen.
Nach wie vor strömen kontinuierlich Menschen nach Lesbos. Im Lager Moria, das ursprünglich für 3000 Menschen konzipiert war, sind inzwischen mehr als 8000 Menschen untergebracht. Die prekären Lebensbedingungen im Lager gefährden sowohl die körperliche als auch die seelische Gesundheit der Menschen. Das MSF-Team in Moria hat in den vergangenen Monaten miterlebt, wie die alltägliche Gewalt in Moria immer weiter eskaliert ist. Die Mitarbeiter haben Fälle von sexueller Gewalt behandelt, die sich innerhalb oder in der Umgebung des Lagers in Moria zugetragen haben.
Eine Toilette für 72 Menschen
Ein grosser Teil der Spannungen ist auf die Überbelegung sowie auf die unzumutbaren Lebensbedingungen im Lager zurückzuführen. Im Hauptteil des Lagers sowie dem angrenzenden Olivenhain, in dem mehrere Hundert Menschen ihre Behausungen aufgebaut haben, müssen sich 72 Menschen eine Toilette und 84 Menschen eine Dusche teilen. Dies liegt weit unter den humanitären Standards für Krisensituationen weltweit.
Die psychische Verfassung vieler Menschen verschlechtert sich drastisch, wenn sie hier ankommen.
Die Unsicherheit im Camp, die schlechten Lebensbedingungen sowie die oft monate- oder jahrelange Ungewissheit darüber, wie es weitergehen wird, haben schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit vieler Bewohner. In der Klinik für psychische Gesundheit in Mytilene behandelt ein Team von MSF nur Menschen mit schwersten psychischen Problemen. Die Klinik ist voll ausgelastet.
«Das liegt zum Teil daran, dass sie Traumatisches erlebt haben und in der Hoffnung nach Europa gekommen sind, hier Zuflucht und eine würdevolle Behandlung zu finden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Hier treffen sie auf noch mehr Gewalt und unmenschliche Lebensbedingungen.»
Kinder werden auf Moria erneut traumatisiert
Andere NGOs überweisen derzeit wöchentlich 15 bis 18 Menschen mit akuten psychischen Problemen an MSF, darunter auch Kinder. Die Patienten leiden an psychotischen Symptomen wie Halluzinationen, Unruhe, Verwirrtheit und Desorientierung, haben ausgeprägte Selbstmordgedanken oder bereits Selbstmordversuche unternommen. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn es gibt zahlreiche weitere Menschen mit ernsten psychischen Problemen, die das Team auf Lesbos nicht behandeln kann. Denn ist der einzige Akteur dort, der diese spezialisierte psychosoziale Versorgung anbietet.
Im Rahmen von Gruppentherapien für Kinder hat das MSF-Team unter anderem festgestellt, dass viele Kinder – sowohl unbegleitete Minderjährige als auch Kinder, die mit ihren Familien in Moria leben – von den Erfahrungen, die sie in Moria machen müssen, stark belastet und erneut traumatisiert werden. Dies ist besonders besorgniserregend.
MSF fordert Umsiedlung der Menschen an sichere Orte
MSF fordert die griechischen Behörden und die EU auf, verletzliche Menschen aus Moria in sichere Unterkünfte umzusiedeln, die Politik des Einsperrens der Asylsuchenden auf den Inseln zu beenden und die Menschen in Moria endlich ausreichend medizinisch zu versorgen.
Die Erfahrungen von MSF zeigen, dass die Abschreckungspolitik des EU-Türkei-Deals nicht funktioniert. Die Menschen werden auch in Zukunft vor Krieg und Terror fliehen. Und stark belastete Menschen werden weiter traumatisiert, wenn sie in elenden und unsicheren Lebensbedingungen festgehalten werden.
© Robin Hammond/Witness Change