Humanitärer Einsatz in der Schweiz
© Nora Teylouni/MSF
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Die Pflegefachfrau Kathrine Zimmermann erzählt uns im Folgenden über ihren Covid-19-Einsatz in Genf. Zimmermann zählt bereits zehn Jahre Erfahrung in der humanitären Arbeit, so in Afrika, Zentralamerika und nun in der Schweiz. Sie hat ihre Ausbildung in der Schweiz absolviert und ist spezialisiert auf die Intensivpflege. Vor ihren Einsätzen bei Ärzte ohne Grenzen war sie auf der Intensivstation für Pädiatrie und Neonatologie des Universitätsspitals Genf (HUG) tätig.
In den vergangenen 4 Jahren leitete Zimmermann am Hauptsitzt von MSF in Genf ein Programm zur weltweiten Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Im März 2020 half sie am Genfer Universitätsspital (HUG) eine Intensivstation speziell für Covid-19-Patientinnen und -Patienten zu errichten. Im Folgenden erzählt sie von ihrem Alltag auf der Intensivstation.
Mein Alltag im Ausnahmezustand
«Als ich an jenem Abend im HUG ankam, um meine Schicht zu übernehmen, sah ich, welcher Station ich für die nächsten 12 Stunden zugeteilt wurde. Der Übergang von einer Schicht zur nächsten ist beeindruckend, denn momentan sind unglaublich viele Pflegefachleute im Einsatz. Am Eingang der Garderobe muss man sich die Arbeitskleider für die Nachtschicht aussuchen. Wichtig ist hier nicht die Grösse, sondern die Farbe der Arbeitskleidung – blau und weiss.
Sobald wir die den Bereich betreten, wo Patientinnen und Patienten beatmet werden, setzen wir die FFFP2-Masken auf, auch Entenschnabel-Maske genannt. In den Gängen tragen wir die normalen Schutzmasken, um unsere Mitmenschen zu schützen. Nach zweieinhalb Wochen Dienst in der Covid-19-Abteilung durfte ich eine Nacht auf der Intensivstation für Nicht-Covid-19-Erkrankte verbringen. Hier durfte ich die normale Operationsmaske tragen. Ohne Schutzkleidung fühlte ich mich hier fast nackt!
Als die Pandemie ausgerufen wurde und erste Infizierte in der Schweiz hospitalisiert wurden, war ich froh, dass ich die Gelegenheit erhielt, im Spital mitzuhelfen. Anfangs fiel es mir schwer, mir vorzustellen, wie auf eine solche Pandemie in Europa reagiert werden sollte. Dennoch bin ich froh, Teil eines Einsatzes in einem solchem Ausmass zu sein.
Die Intensivpflege hat im HUG mehrere Gebäude eingenommen. Unter anderem wurden Operationssäle, Aufwach- und Behandlungsräume so eingerichtet, dass nun Covid-19-Patientinnen und Patienten dort behandelt werden können.
In den ersten zwei Wochen habe ich mich um «jüngere» Patientinnen und Patienten gekümmert. Diese waren unter 55 Jahre alt. Viele davon konnten beatmet werden und wurden in die Überwachungspflege verlegt. Einige konnten schon nach einigen Tagen wieder nach Hause. Solche guten Neuigkeiten halten uns am Ball. Noch heute finde ich es eindrücklich, all diese Menschen an den Beatmungsmaschinen zu sehen. Oft liegen sie sogar auf dem Bauch, um die Atmung zu verbessern. Normalerweise würde man auf einer Intensivstation nicht so viele beatmete Menschen sehen. Als wir ankamen wurden wir alle gewarnt, dass jeder Pflegefachperson im schlimmsten Fall fünf beatmete Patientinnen oder Patienten zugeteilt wird. Schlussendlich wurden mir an meinem ersten Tag drei Personen zugeteilt. Für mich war das sehr stressig. Vor allem musste ich mich auf einer neuen Station einfinden, dies, nachdem ich jahrelang nicht mehr im Intensivpflegebereich gearbeitet habe. Glücklicherweise ist der schlimmste Fall nicht eingetreten und die Situation scheint sich in der Zwischenzeit verbessert zu haben.
Was bei mir angesichts der aussergewöhnlichen Situation allerdings am meisten Eindruck hinterlassen hat, ist die Einsamkeit der Patientinnen und Patienten. Die Pflegefachleute und Ärztinnen und Ärzte sind der einzige Verbindungspunkt zwischen Familie und Patientin oder Patient.
Vor wenigen Tagen feierte ich meinen Geburtstag. Ein Patient, den ich pflegte, hatte am selben Tag Geburtstag. Während ich per Skype mit meiner Familie feiern konnte, verbrachten er und seine Familie den Tag allein. Das ist nicht einfach. Inzwischen habe ich erfahren, dass er beatmet wird. Ich hoffe, dass er seine Familie bald wiedersehen kann.
Die Parallelen zu meinen Erfahrungen als humanitäre Helferin sehe ich vor allem in den Ängsten, die durch die Krankheit ausgelöst werden
Die Parallelen zu meinen jahrelangen Einsätzen sehe ich vor allem in den Ängsten, die durch diese Krankheit ausgelöst werden.
Ich verfolge dies aus der Ferne, jedoch weiss ich, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen bei MSF vor Ort vorbereiten und oft schon bei der Umsetzung von Infektionspräventions- und -kontrollmassnahmen mithelfen, um zu verhindern, dass sich diese Krankheit sich auf Gesundheitssysteme ausbreitet, die dem weniger gut gewachsen sind als in Europa. Allerdings wird es an Personal fehlen, um sich um alle Infizierten zu kümmern, ganz zu schweigen von Personal mit Erfahrung in der Intensivpflege. Auch das Management wird sich verändern. Die Beschränkungen im Personen- und Warentransport werden es uns erschweren, die nötigen Massnahmen umzusetzen.
Obwohl wir unser Bestes geben, um die bestmöglichen Pflegepraktiken anzuwenden, fühlen wir uns oftmals schon fast hilflos und eingeschränkt.
Zurzeit lebe ich in einer Blase. Mein einziges Anliegen ist es, mich um die Patientinnen und Patienten zu kümmern, für die ich verantwortlich bin. Wenn ich aber an meine Kolleginnen und Kollegen denke, die in einem humanitären Einsatz sind, weiss ich, dass sie es schwer haben. Ich weiss nicht, ob ich schon morgen in ein anderes Land reisen werde, um im Kampf gegen Covid-19 mitzuhelfen. Jedoch bin ich mir sicher, dass ich mir die Zeit nehmen werde, um ernsthaft darüber nachzudenken.
In der Schweiz bin ich eigentlich wieder angekommen. Meine Verwandten halten mir oft vor, dass ich mich nun zwar nicht mehr in einem gefährlichen Land befände, mich dafür aber jetzt in die Covid-19-Pandemie stürze. Zum Glück vertrauen sie mir!»
© Nora Teylouni/MSF