Nordwest-Syrien: Gesundheitsrisiken durch Wassermangel in Vertriebenencamps
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Die Erdbeben vom Februar 2023 haben im Nordwesten Syriens grosse Zerstörung verursacht. In der Region lebten bereits zuvor viele vom Krieg Vertriebene. Zehntausende neue Vertriebene haben in Camps Zuflucht gefunden und leben nun unter prekären Bedingungen.
Einst war Jindires eine prachtvolle syrische Stadt nahe der türkischen Grenze. Heute liegt sie in Schutt und Asche. Ein unerbittlicher Krieg sowie ein verheerendes Erdbeben haben Spuren der Verwüstung hinterlassen. Im Nordwesten des Landes wurden unzählige Menschen durch das Erdbeben vertrieben. Für 90 Prozent von ihnen ist es nicht die erste Flucht: Schon der Krieg zwang sie, ihr Zuhause zurückzulassen – teilweise sogar mehrmals.
Viele Geflüchtete haben sich vorübergehend in Camps niedergelassen. Doch dort fehlt es an allem, insbesondere in Jindires. Das Erdbeben und der Krieg haben das Wasser- und Abwassersystem der Stadt geschädigt. Vor kurzem wurde in Jindires das Camp «Al-Eman» errichtet; 2130 Menschen leben hier auf engem Raum zusammen. Teams von Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) kümmern sich um ihre Gesundheit. Auch Emm Hassan lebt hier. Nachdem das Erdbeben ihr Haus zum Einstürzen gebracht hatte, ergriffen sie und ihre fünf Kinder die Flucht. Die Familie stammt ursprünglich aus Aleppo, wurde aber durch den Krieg aus ihrer Heimatstadt vertrieben.
Wir haben alles verloren, nichts ist wie früher. Das Leben im Camp ist unglaublich hart.
«Sauberes Wasser gibt es hier nur sehr begrenzt, die wenigen sanitären Anlagen sind unhygienisch. Das macht unsere Kinder krank. Cholera und Krätze verbreiten sich, und alle meine fünf Kinder sind an Leishmaniose erkrankt. Die Narben in ihren Gesichtern werden lange brauchen, um zu verheilen», so Emm Hassan.
Neun anstatt 20 Liter Wasser pro Person
Pro Person stehen neun Liter Wasser zur Verfügung. Dabei schreiben internationale Standards 20 Liter pro Tag vor. Auch gibt es für 90 Menschen nur eine einzige Toilette. «Die Wasser- und Abwasserinfrastruktur in den neuen Camps ist stark eingeschränkt», sagt Halim Boubaker, unser medizinischer Koordinator in Syrien. «Das erhöht das Risiko auf Wasserkrankheiten wie Cholera und Hepatitis.»
Und wenn zu wenig Toiletten da sind, wirkt sich das auf die Hygiene und die Privatsphäre aus; Krankheiten wie Krätze verbreiten sich leicht.
Krätze ist eine ansteckende Hautkrankheit, die durch Krätzmilben verursacht wird. Ärzte ohne Grenzen und Partnerorganisationen sind mit mobilen Kliniken im Einsatz. Sie haben einen deutlichen Anstieg der Krätzefälle im Nordwesten Syriens festgestellt.
In Afrin wurden im Rahmen einer von unserer syrischen Partnerorganisation Al-Ameen durchgeführten Untersuchung in zehn Camps, in denen rund 13 000 Menschen leben, über 3600 Krätzefälle gemeldet, vor allem bei Kindern unter zehn Jahren. Die Verbreitung der Krankheit hängt in erster Linie mit der anhaltenden Wasserknappheit in den Camps zusammen.
Unsere Organisation setzt auf Wasser-, Sanitär- und Hygienemassnahmen, um Krankheitsausbrüche in rund 100 Vertriebenencamps einzudämmen. So haben wir über 8000 Kubikmeter sauberes Wasser bereitgestellt, mehr als 1000 Wassertanks und 130 mobile Toiletten installiert sowie 620 bestehende Toiletten und 90 Duschen gewartet. Auch haben wir rund 111 000 Hilfsgüter verteilt, darunter Hygienesets, Küchenutensilien und Tampons und Binden für Frauen.
Ein jahrzehntelanger Kampf
Der Krieg und das Erdbeben haben dem Wasser- und Abwassersystem enorm geschadet, daran besteht kein Zweifel. Doch auch ganz generell wird das Wasser in Syrien zunehmend knapp. Im Mai führten unsere Teams eine Bewertung in 48 Vertriebenencamps und zwei Dörfern im Nordwesten Syriens durch, in denen 60 000 Binnenvertriebene leben. Sie ergab, dass rund 70 Prozent der Camps ihr Trinkwasser ausschliesslich durch Wassertransporte beziehen. Zwar verfügten alle Camps über Toiletten, doch die Hälfte von ihnen musste gewartet werden, und in 70 Prozent der Camps gab es keine Duschmöglichkeiten. Darüber waren die Abwasserleitungen in 85 Prozent der Camps nicht intakt.
«Vor fünf Jahren kamen wir in dieses Camp. Die Anzahl der Toiletten und Duschen konnten wir bisher nicht wirklich erhöhen», sagt Manhal El-Freij, der ein Camp für Vertriebene in Idlib leitet. «Der Boden hier ist hart und steinig. Für die Errichtung von Toiletten ist das alles andere als ideal. Die meisten Bohrlöcher, die mit einfachen Werkzeugen gegraben wurden, erfüllen ihren Zweck kaum. Familien können alle zehn Tage nur einmal duschen. Krätze und Läuse sind weit verbreitet, weil wir keine richtigen sanitären Anlagen haben.»
Trotz des dringenden Hilfsbedarfs hat der Wasser- und Abwassersektor in Syrien nur etwa acht Prozent der für 2023 erforderlichen Mittel erhalten. Das behindert die Bemühungen, langfristige Lösungen im Bereich Wasser und Sanitär zu finden.
«Es gilt, die Gesundheit und Würde der vom Krieg und den Erdbeben in Syrien Betroffenen zu schützen. Dafür muss noch viel Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Es braucht ausreichende Finanzierung – und einen dauerhaften, nachhaltigen Zugang zu humanitärer Hilfe für alle.
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