Trügerische Ruhe: In Ituri ist kein Ende der Gewalt in Sicht

Drodro, 18.12.2021

Demokratische Republik Kongo3 Min.

Seit 2017 gehört ausufernde Gewalt in der Provinz Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo zum Alltag. Derzeit lassen Spannungen zwischen verschiedenen Gemeinschaften in der Region Djugu bewaffnete Konflikte verstärkt wiederaufflammen.

Zwischen dem 12. und 28. November 2021 kam es in Tché, Drodro, Paroisse, Luko und Ivo gleich vier Mal in Folge zu aussergewöhnlich gewaltvollen Angriffen. Diese erneute Eskalation des Konflikts verschärft die humanitäre und sicherheitspolitische Lage für Binnenvertriebene in der Region, isoliert die Betroffenen und erhöht ihre Verletzlichkeit zusätzlich. 

«Ich bin komplett meinem eigenen Schicksal überlassen. Meine Kinder und ich haben nichts zu essen und sind krank, seit wir hier in Rhoe angekommen sind», berichtet die 52-jährige Bäuerin Suzanne aus Dhedja, die mit ihren drei Kindern nach Ivo floh.

Es ist bereits Suzannes zweite Flucht. Diesmal ist das Vertriebenenlager Rhoe ihr Ziel. In Ivo musste sie mitansehen, wie Passanten erschossen wurden. Ihre Nachbarn wurden mit Macheten angegriffen, als sie versuchten, mit ihrer Familie zu fliehen. Diese traumatisierenden Szenen schiessen ihr immer wieder durch den Kopf, während sie gleichzeitig versucht, für ihre Kinder zu sorgen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren.

Mehr als 40 000 Menschen wurden wie Suzanne vertrieben und suchen im Lager Rhoe im Gesundheitsgebiet des Staates Blukwa Zuflucht. Der Ort ist nur schwer zugänglich. Anhaltende Sicherheitsprobleme hindern zudem viele humanitäre Organisationen daran, dort zu arbeiten. 

«Die Menschen stehen vor grossen Herausforderungen. Es ist eiskalt und es mangelt an Unterkünften und Latrinen. Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen haben eine grosse Anzahl von Menschen in die Flucht getrieben. Unter den Geflüchteten sind auch medizinische Mitarbeitende, die ihren Patient:innen jetzt nicht mehr zur Seite stehen können», erklärt Dr. Benjamin Safari von Ärzte ohne Grenzen in Drodro.

Der medizinische Bedarf ist überwältigend. Wir haben verschiedene Aktivitäten lanciert, um unseren Einsatz hochzufahren – insbesondere für Kinder bis 15 Jahre.

Safari.Dr. Benjamin Safari von Ärzte ohne Grenzen in Drodro

Patient:innen, die eine intensivere Behandlung benötigen, sollten ursprünglich an das besser ausgestattete allgemeine Referenzspital in der Stadt Drodro überwiesen werden. Denn auf schwere Fälle war die im Lager eingerichtete Klinik nicht ausgelegt. Nach den jüngsten Gewalthandlungen, die Teile von Drodro zerstörten und die Menschen in das Lager Rhoe vertrieben, haben unsere Teams die Klinik jedoch in ein Feldspital umgebaut, um die nun rund 65 000 Menschen versorgen zu können – 40 000 mehr als noch vor zwei Monaten.

Das Lager Rhoe.

Das Lager Rhoe liegt 8 Kilometer von Dodro entfernt und 65 Kilometer nordöstlich von Bunia, der Hauptstadt der Provinz Ituri.

© Alexis Huguet/MSF

In den letzten Wochen führten unsere Teams durchschnittlich mehr als 800 Konsultationen pro Woche durch, begleiteten 35 Geburten und boten mehreren Dutzend Patient:innen eine psychologische Betreuung. Ausserdem führten unsere Gesundheitspromotor:innen vor Ort Aufklärungsveranstaltungen durch, um akute Mangelernährung und chronische Krankheiten frühzeitig zu erkennen und verteilten Informationen zu Hilfsangeboten für (potenzielle) Opfer von sexueller Gewalt.

«Einige Menschen kehren wieder nach Hause zurück. In den vergangenen Wochen scheint ein wenig Ruhe eingekehrt zu sein – doch die Stille trügt. Der Bedarf ist nach wie vor enorm und der Zugang zu den Betroffenen begrenzt», so Davide Occhipinti, der das Projekt von Ärzte ohne Grenzen in Drodro koordiniert. «Wenn sich die Sicherheitslage in Drodro verschlechtert, werden unsere Teams diese Menschen nur noch schwer mit Hilfe erreichen können.»

«Diejenigen, die in Rhoe bleiben, können nirgends hin. Die Bedürfnisse der Gemeinschaften in der Region wurden zu lange ignoriert. Mit Verbandsmaterial und Medikamenten allein werden wir ihre Probleme wohl kaum lösen können. Der kongolesische Staat und seine internationalen Partner müssen in die Pflicht genommen werden und dafür sorgen, dass die Gewaltspirale aufhört, die zu so vielen Toten, Verletzten und Vertriebenen führt», sagt Occhipinti.